Professor Edenhofer, seit Jahren mahnen Sie an, was jetzt eingetreten ist: 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
Edenhofer: Und von Jahr zu Jahr brechen wir die Wärmerekorde weiter. Die 1,5 Grad, die wir im Pariser Abkommen vor zehn Jahren als Grenze benannt haben, werden wir überschreiten. Damit haben wir nur noch eine Option: Wir müssen diesen Trend bis zum Ende des Jahrhunderts umkehren. Dafür braucht es gute Instrumente.
Welche sind das?
Edenhofer: Unter anderem die Bepreisung und Besteuerung von CO2, Klimazölle und Emissionshandel. Besteuern wir beispielsweise die Einfuhr von Öl und Gas, bringt das Einnahmen, die Nachfrage sinkt und wir werden unabhängiger. Mit den Einnahmen lässt sich der Umstieg auf neue Technologien weiter vorantreiben. Die Entwicklungs- und Schwellenländer brauchen in Teilen eine Übergangszeit.
Trotzdem bleibt Klimapolitik unpopulär. Sie sei mit Schuld an der Wirtschaftskrise,heißt es.
Edenhofer: Das ist Unsinn. Hätten wir frühzeitig in Elektromobilität oder grüne Chemie investiert, wären wir heute gegenüber China wettbewerbsfähig. Klimapolitik wird zu sehr als etwas gesehen, das man macht, wenn es der Gesellschaft gut geht. Aber das ist eine Fehlkalkulation. Eine zusätzliche Tonne CO2 in der Atmosphäre, zum Beispiel durch einen innereuropäischen Flug, verursacht am Ende global bis zu 2000 Euro Schaden durch Folgen des Klimawandels. Das ist auch ein wirtschaftlicher Schaden. Klimapolitik bedeutet also langfristige Wohlstandssicherung.
Lange Zeit schien der Klimawandel weit weg. Nun ist er auch bei uns spürbar.
Edenhofer: Wir sitzen alle in einem Boot. Und das in einer Zeit, in der die Globalisierung wieder zurückgedreht wird. Gerade Europa muss jetzt nochmal gewaltige Anstrengungen unternehmen. Wir brauchen neue Freunde.
Nicht so einfach, wenn die alten Freunde wegbrechen.
Edenhofer: Die derzeitige US-Politik sollte uns besorgen. Aber zu vernünftiger Klimapolitik gibt es keine Alternative - und sie würde selbst dann Sinn machen, wenn die USA in diesem Politikfeld tatsächlich auf Dauer als Partner ausfallen würde. Europa darf auf keinen Fall zurückfallen, im Gegenteil: Europa wächst international in eine neue Rolle, die es ausfüllen muss.
Dazu ist „geordneter Multilateralismus“ nötig, wie Sie sagen. Vor zehn Jahren stand die Weltgemeinschaft besser da.
Edenhofer: Da bin ich mir nicht sicher. Die Rhetorik war besser. Und es ist richtig: Das Jahr 2015 hat große Hoffnungen geweckt. Im Juni veröffentlichte Papst Franziskus „Laudato si'“. Im September war er in den USA, wurde von Barack Obama empfangen und sprach vor den UN. Die brachten schließlich die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung auf den Weg. Zum Jahresende kam noch der Durchbruch beim Pariser Klima-Abkommen – wo übrigens der Vatikan mit einer richtig guten Delegation vertreten war. Ihr ist es zu verdanken, dass Nicaragua und Polen noch zugestimmt haben.
Wie schafft man es, dass alle mitmachen, das Klima zu retten?
Edenhofer: Mit Solidarität. Aber die funktioniert nur gegenseitig. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn jemand nicht mitmacht, braucht es Sanktionsmöglichkeiten. Wer verschmutzt, der zahlt – so lautet das „polluter pays“-Prinzip. Man braucht also Verträge.
Und einen Weckruf wie „Laudato si’“?
Edenhofer: „Laudato si'“ hat eine enorme Wirkung entfaltet! Wenn man bedenkt, dass in Nummer 23 der Enzyklika geschrieben steht, dass die Atmosphäre und der Ozean Gemeinschaftsgüter der Menschheit sind. Dieser Satz war eine der Kernbotschaften und wirklich revolutionär!
Warum genau?
Edenhofer: Ich habe damals zur selben Zeit eine Arbeitsgruppe im Weltklimarat geleitet. Da wurde das Thema in die Fußnoten verbannt. Viele Staaten hatten Sorge vor rechtlichen Konsequenzen, gerade gegenüber Ländern des globalen Südens. Denn wenn das Klima Gemeinschaftsgut ist, steht am Ende Klimapolitik über staatlichem und privatem Recht.
Sie haben an dem Text mitgearbeitet. Wie kam es dazu und was war Ihr Anteil?
Edenhofer: Eines Tages erhielt ich eine Mail von Kardinal Turkson mit der Frage, ob ich den Papst bei der Vorbereitung zu einer neuen Enzyklika beraten wolle. Das war 2014. Wenige Wochen später war ich im Vatikan. Ich lief dem Papst ständig über den Weg, stand mit ihm in der Schlange für das Abendessen – und später redeten wir eine Stunde über die globalen Gemeinschaftsgüter. Dieses Thema findet sich in „Laudato si'“ prominent wieder. Der Text hat durchaus Schwächen. Dennoch beeindruckte er. Kurz nach Erscheinen widmete ihm „Nature Climate Change“, eine international wichtige Fachzeitschrift, eine Sonderausgabe. Dass eine Enzyklika in einer wissenschaftlichen Zeitschrift diskutiert wird, so etwas hatte es noch nie gegeben. Eine Ausgabe davon habe ich Franziskus später überreicht. Das hat ihm gefallen.
Das müssen Sternstunden gewesen sein. Sie haben einmal gesagt: „Wissenschaft braucht Religion, und Religion braucht Wissenschaft“.
Edenhofer: Ja. Ich bin von Kollegen angeschrieben, sogar angerufen und beglückwünscht worden zu diesem Papst. Ein Kollege sagte: „Mit dieser Enzyklika hat der Papst den Krieg zwischen Wissenschaft und Religion beendet”.
Wie steht es um Ihre eigene Balance als ehemaliger Jesuit, gläubiger Katholik und Wissenschaftler?
Edenhofer: Fragen Sie, wie hoch der Anteil des Katholischen in meiner täglichen Arbeit ist? Da muss ich Ihnen sagen: Es gibt keine katholische Klimaökonomie. Als Wissenschaftler zählen für mich nur die wissenschaftlichen Argumente. Aber ich halte es mit der Metapher vom Licht. Mein Glaube taucht die Welt, in der ich lebe, in ein neues Licht.
Was bleibt von „Laudato si’“?
Edenhofer: Am Ende ist die Enzyklika hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. In den Nachrufen auf Franziskus geht es in erster Linie um Synodalität und um seinen Einsatz für die Armen. Seine spätere Enzyklika „Fratelli tutti“, die die Geschwisterlichkeit behandelt, hat am Ende vielleicht mehr Aufmerksamkeit erfahren.
Auf jeden Fall hat sich Papst Franziskus eingemischt. Sollte ein Papst das tun?
Edenhofer: Ja. Die katholische Kirche hat eine Soziallehre. Daher muss sie Politik oder Wirtschaft unter ethischen Gesichtspunkten bewerten. Ein Papst muss Stellung beziehen. Als Oberhaupt einer Kirche, der 1,4 Milliarden Menschen angehören, kann er diesen Machtfaktor nutzen zum Wohl dessen, wofür die Kirche steht: für das Evangelium.
Was bleibt von Papst Franziskus?
Edenhofer: Große Aufgaben, die er uns gestellt hat: eine gerechte Globalisierung umzusetzen, den Klimawandel zu bekämpfen, gegen Armut und Ungleichheit einzutreten. Berührt hat mich immer, wenn der Papst Gefängnisse besucht hat. Er war den Menschen nahe. Manches Mal habe ich mich auch über ihn geärgert. Zum Beispiel über seine Aussagen zu Beginn des Krieges in der Ukraine.
Was erwarten Sie vom neuen Papst?
Edenhofer: Papst Leo XIV. hat sich gleich nach seinerWahl in die Tradition der katholischen Soziallehregestellt, die mit der Enzyklika „Rerum novarum“ von Leo XIII. 1891 begonnen hat. Er sieht große ethische Herausfor derungen bei der Anwendung der künstlichen Intelligenz, er hat bereits als Kardinal einen ambitionierten Klimaschutz gefordert, ebenso die Achtung der Rechte und Würde von Menschen, die auf der Flucht sind. Vielleicht könnte der Papst diese Themen verbinden. Warum nicht ein Schreiben zu globalen Gemeinschaftsgütern, zu denen ja zum Beispiel das Internet gehört, und zum weltweiten Gemeinwohl, das gerade von Autokratien mit Füßen getreten wird?