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17. August 2023
Interview:   Barbara Brustlein und Christian Selbherr
Interview mit Franz Maget

"Ohne Ägypten geht es nicht"

Von der Stimme der Opposition im Bayerischen Landtag wurde er zum Kenner Nordafrikas und des Nahen Ostens. Franz Maget von der SPD spricht über den Umgang mit zweifelhaften Regimen, wie der derzeitigen Militärherrschaft in Ägypten. Außerdem fragt er sich, was vom Arabischen Frühling übrig bleibt und wie die EU mit Migranten umgehen sollte. 
17. August 2023
Text: Barbara Brustlein und Christian Selbherr   Foto: privat

Herr Maget, Kirchenvertreter in Ägypten äußern sich sehr positiv über die Regierung von General Sisi.

Er setzt sich aktiv dafür ein, dass es religiöse Toleranz in Ägypten gibt. Und er versucht, Attentate oder andere schlimme Dinge gegenüber christlichen Einrichtungen abzuwenden. Das tut er sehr glaubwürdig. Und das wissen die Christen in Ägypten zu schätzen. 

Um welchen Preis?

Sie sehen darüber hinweg, dass Ägypten einer der repressivsten Staaten dieser Welt ist, der nicht nur Gewalttäter zu Recht wegsperrt. Sondern jegliche oppositionelle Kraft daran hindert, sich zu entfalten oder überhaupt öffentlich in Erscheinung zu treten. Man riskiert ständig, im Gefängnis zu landen. Das betrifft kritische Journalisten aus dem In- und Ausland, dazu Gewerkschafter, politische Parteien. Wenn Sie als Schriftsteller eine öffentliche Lesung machen, müssen Sie sehr genau überlegen, welchen Text Sie vorlesen und welchen Sie für sich behalten. Sie müssen als Sängerin überlegen, welches Lied Sie singen und welches nicht.

Muss man das als deutsche Bundesregierung einfach so akzeptieren?

Die Millionenfrage! Ägypten hat an außenpolitischem Gewicht gewonnen, hat sich aus der Umklammerung Saudi-Arabiens, die wegen der finanziellen Abhängigkeit besteht, befreit. Sisi tritt wieder als relativ souveräner Akteur in Erscheinung. Ich würde dringend dazu raten, auch wenn ich die Politik der Militärs in Ägypten für furchtbar halte, den Weg der Kooperation beizubehalten.

Wozu?

Wenn Sie den Nahostkonflikt vielleicht eines Tages doch noch lösen wollen – ohne Ägypten kommen Sie keinen Millimeter weiter. Ägypten ist das einzige Land aus der arabischen Welt, das einen dauerhaften Friedensvertrag mit Israel hat. Ägypten bietet sich in vielen regionalen Konflikten als Mittler an. Und sich auf den Standpunkt zu stellen, Ägypten sei ein schlechter Partner, weil dort ja ein autoritärer Mann herrscht – dann müssen Sie es bleiben lassen. Denn ohne Ägypten geht es nicht.

Gilt das auch bei der Entwicklungshilfe?

Ägypten hat ein Wasserproblem durch den Bau des riesigen Staudamms in Äthiopien. Wenn Ägypten in dieser Situation Unterstützung sucht, um auch in Zukunft ausreichend Wasser zu erhalten, dann finde ich es richtig, wenn wir uns nicht wegdrücken und sagen, alles sollen die Ägypter selber regeln. Wir stellen fest, in Ägypten leben 30 Millionen bitterarme Menschen. Da darf ich doch nicht wegschauen. Die können ja nichts dafür, dass ihr Chef ein Diktator ist!

Ist das eine Lehre aus dem Arabischen Frühling? Damals hat man ja gedacht, dass alle Diktatoren weggefegt würden.

Zuerst war die Hoffnung zu groß und jetzt ist sie zu klein. Es sind ja tatsächlich vier Diktatoren gestürzt worden, drei durchs Volk in Tunesien, in Ägypten und im Sudan, und einer durch militärisches Eingreifen des Westens – Gaddafi. Diese Erfahrung bleibt, dass eine Bevölkerung, wenn sie es will und wenn die Zeit reif ist, einen Autokraten stürzen kann, auch in der islamisch-arabischen Welt.

Warum ist die Hoffnung jetzt zu klein?

Weil man sagt, das hat ja alles nichts gebracht, alle enden wieder in der Diktatur. Ich sage: Das kommt wieder, wenn sich die Lebenssituation der Menschen verschlechtert. Wenn die Korruption weiter blüht, das Gesundheitswesen nicht funktioniert, die Schulen schlechter werden. Dann kann der Aufstand wiederkommen. Gerade in schwierigen Zeiten gibt es einen Zwang zum Optimismus!

Stark betrifft uns das Thema Migration übers Mittelmeer. Wie bewerten Sie den aktuellen Kompromiss der EU?

Das Abkommen beschreibt noch einmal, was wir schon verabredet haben. Ein Geflüchteter soll nicht in Italien ankommen oder in Griechenland oder Spanien, und sich dann auf den Weg machen, um zwei Tage später in Deutschland unregistriert anzukommen und um Asyl zu bitten, das ist Unfug. Deswegen fühle ich mich nicht schlecht und moralisch widerwärtig, wenn ich sage, das Dublin-Abkommen und der jetzige Pakt sind zunächst eine vernünftige technische Regelung.

Trotzdem gibt es viel Kritik.

Natürlich vollzieht sich dieser Migrationspakt auf dem Rücken der ärmsten Menschen dieser Welt. Darum hat keiner, hoffe ich, ein gutes Gefühl dabei. Aber auch mit einem unguten Gefühl muss ich trotzdem eine praktische Lösung eines riesigen Problems erreichen.

Warum ermöglicht man nicht mehr legale Migrationswege?

Zum Teil wird das jetzt schon gemacht. Es gibt in Tunesien viele Agenturen, privatwirtschaftlich. Die arbeiten in der Fachkräftevermittlung. Weil Deutschland Pflegekräfte sucht, reist zum Beispiel eine Caritas-Delegation nach Tunis, wendet sich an diese Agenturen und fragt an, ob man 20 Pflegekräfte haben kann. Sie bieten Arbeitsverträge und ein Visum.

Klingt nicht so schlecht.

Das Problem ist: Damit ändern wir nichts an der Situation der Menschen in der Sahelzone. Die Idee, wenn wir nur genügend Fachkräfte nehmen, würden wir genau um diese Zahl auch die Zahl der Migranten reduzieren, ist Unsinn. Die ausgebildete Pflegekraft in Tunesien geht ja nicht aufs Flüchtlingsboot. Sie kann sich auch in Tunesien über Wasser halten und wird auch dort als Arbeitskraft gebraucht.

Viele Migranten stranden in Nordafrika und hoffen auf einen Weg nach Europa.

Jetzt könnte man fragen: Können denn die Tunesier nicht die Rolle Italiens übernehmen und die Migranten schon registrieren, bevor das Flüchtlingsschiff losfährt? Darüber sprechen Frau Faeser, Frau von der Leyen und Herr Macron jeden Tag mit der einzigen Person, die in Tunesien noch was zu sagen hat: der Staatspräsident. Der sagt öffentlich: „Wir sind nicht eure Grenzpolizei. Wir lehnen solche Lager auf unserem Boden strikt ab.“ In dieser Gemengelage hat die EU jetzt ein Abkommen verabredet, das illegale Migration aus Tunesien begrenzen und dem Land finanziell unter die Arme greifen soll. Wenn man sich vorstellt, wie solche Aufnahmelager auch in einem Land wie Tunesien aussehen werden …

Das Leben dort ist schrecklich.

Genau. Aber solche Lager gibt es längst. Nicht in Tunesien, sondern in Libyen. Nur bekommen wir wenig davon mit. Solange wir davon nichts erfahren, ist uns das ziemlich egal. Oder mischen wir uns wirklich ein und sagen: „Wir kennen doch diese zehn Lager in Libyen. Wir helfen dem UNHCR, diese Lager so auszustatten, dass es dort menschenwürdig zugeht?“ Genau darin sähe ich unsere humanitäre Verpflichtung.

Welche Rolle können kirchliche Partner in dieser Region spielen?

Wenn wir in Ägypten bleiben, fallen mir sofort zwei Institutionen ein, die extrem segensreich sind. Die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo und zwei Mädchenschulen der Borromäerinnen, einem katholischen Orden. Ein Besuch bei den Borromäerinnen ist eines der schönsten Erlebnisse, das man haben kann in diesem schwierigen Land. Da gehen viele koptische Mädchen hin, aber auch muslimische Mädchen, die miteinander das Abitur erreichen, Freundschaften schließen und politisch extrem aufgeweckt sind. Wenn du mit diesen jungen Frauen ein Gespräch führen kannst, geht dir das Herz auf. 

ZUR PERSON
Franz Maget, geboren 1953 in München, war von 1990 bis 2013 Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Bei den Landtagswahlen 2003 und 2008 trat er als Spitzenkandidat der SPD in Bayern an. 2016 ging er als Sozialreferent an die Deutsche Botschaft in Tunis und Kairo. Seit 2019 ist er Sonderberater im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Er ist Autor des Buches: „Zehn Jahre Arabischer Frühling und jetzt?“, erschienen 2020 im Volk-Verlag.

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