Herr Politi, der verstorbene Papst Franziskus war eine starke Stimme für den Schutz der Natur, die Wahrung der Schöpfung. Was wird davon bleiben?
Politi: Für Papst Franziskus war klar: Wenn wir die Natur ruinieren, dann hat das Auswirkungen auf das Leben der Menschen – etwa Luftverschmutzung, den Anstieg des Meeresspiegels, die Verwandlung ganzer Landstriche in Wüsten. Wenn wir das zulassen, leben auch wir Menschen schlecht. Er hat es einmal folgendermaßen auf den Punkt gebracht: Entweder verhalten wir uns alle wie Geschwister. Oder alles bricht zusammen.
Es schaut ja eher aus, als würden wir alles zusammenbrechen lassen.
Politi: Es scheint leider, wir sind in eine ganz neue politische und geopolitische Ära eingetreten. Papst Franziskus hatte schon vor ein paar Jahren gesagt: Wir leben in einem Epochenwandel, in einer Zeitenwende. In den Vereinigten Staaten hat sich ein Kapitalismus breit gemacht, der autoritär ist. Das ist nicht mehr die Form von Kapitalismus, die auf soziale Marktwirtschaft zielt. Die Techno-Oligarchen sagen nun, sie wüssten schon, was gut ist und was schlecht ist. Sie wollen nicht zu viele Regeln, die sie behindern.
Welche Wirkung hatte dieser Appell des früheren Papstes?
Politi: Papst Franziskus war ein sehr klarsichtiger politischer Kopf. Bereits im Jahre 2020, vor der Corona-Krise, warnte er auf einem Treffen der Bischöfe des Mittelmeeres vor der Gefahr des extremistischen Populismus, der auf Hass basiert, Ängste schürt, Spaltung fördert. Und er sagte damals, es läge etwas von den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in der Luft. Diese Idee hat er oft wiederholt. Allerdings hat kein Bischof oder Kardinal das aufgegriffen. Und auch die politischen Köpfe von damals nicht. Franziskus aber hatte verstanden, dass Spaltung und Hasskampagnen dem Volk Schaden bringen, nicht den Machthabern. Und das können wir heute klar sehen.
Welche Botschaften wollte der schwer kranke Papst in seinen letzten Wochen und Monaten für seinen Nachfolger und die Welt hinterlassen?
Politi: Als Franziskus im Krankenhaus lag, hat er einen Plan für die Zukunft lanciert. Er wollte, dass in den nächsten drei Jahren die Zukunft der Kirche gestaltet wird und die großen Punkte des Enddokuments der Weltsynode in die Tat umgesetzt würden. Die Weltsynode hat ja mit einem Dokument geendet, das der Papst selbst angenommen hat, also offiziell als Dokument des Lehramtes der Kirche. Es geht um drei wichtige Punkte.
Welche sind das?
Politi: Die katholische Welt umfasst über eine Milliarde und 400 Millionen Menschen. Europa oder Nordamerika sind nicht der Nabel dieser katholischen Welt. In dem Dokument geht es darum, dass es überall, auch im globalen Süden, Beratungs- und Mitbestimmungsgremien braucht. Es sollen nicht nur Bischöfe oder Priester die wichtigen Fragen beraten und entscheiden, sondern eben auch Diakone, Ordensschwestern und -brüder und engagierte Laien. Franziskus wollte, dass Evangelisierung ein Werk der Mitbestimmung ist.
Was ist mit den Frauen?
Politi: Das ist der zweite, wichtige Punkt: Frauen müssen in Leitungspositionen kommen. Europa etwa ist in dieser Hinsicht vorangekommen. Es gibt aber in vielen Teilen der Welt noch eine Machokultur, etwa in Südamerika, in Afrika oder in Indien. Ich habe während der Weltsynode sehr engagierte Theologinnen und Ordensschwestern aus Afrika getroffen. Alles Frauen, die hart arbeiten und die ihre Meinung gegenüber Bischöfen und Priestern auch laut und deutlich vertreten. Sie alle sagen: Es geht darum, das Selbstbewusstsein der Frauen und ihre gesellschaftliche Anerkennung voranzubringen.
Und der dritte Punkt, der Papst Franziskus am Herzen lag?
Politi: Da geht es um eine Rechenschaftsmentalität in der Kirche. Bis jetzt war eine Diözese nur dem Heiligen Stuhl verantwortlich. Nun soll es so sein: Bischöfe und Priester, Diakone, Ordensleute und engagierte Laien setzen sich in regelmäßigen Abständen an einen Tisch und prüfen, was gut und was schlecht gemacht wurde. Die Kirche soll gemeinschaftlicher werden.
Papst Franziskus wird uns als derjenige in Erinnerung bleiben, der „an die Ränder“ ging, zu den Ärmsten. In Europa fühlten sich viele hingegen fast vergessen.
Politi: In meinen Augen war das ein Fehler seines Pontifikats. Sagen wir es ganz nüchtern: Man konnte verstehen, dass Papst Franziskus während der ersten fünf, sechs oder auch sieben Jahre seiner Amtszeit an die Ränder der Welt gehen wollte. Seine erste internationale Reise ging allerdings auf die italienische Insel Lampedusa. Ihm ging es darum, zu unterstreichen, dass die Migration nicht ein Polizeiproblem ist, nicht ein militärisches Problem, das man mit Deportationen löst, sondern, dass wir diese Menschen verstehen und empfangen müssen. Natürlich kann jeder Staat nur so viele Menschen empfangen, wie es möglich ist. Das hat auch der Papst gesagt. Aber es darf keine Hysterie entwickelt werden gegen Menschen, die noch nicht mal ein besseres Leben suchen, sondern einfach ein Überleben.
Warum hat er Ihrer Meinung nach aber so wenige europäische Länder bereist?
Politi: Der Papst hat nicht verstanden, dass der Glaube in Europa ein Randphänomen ist, dass wir hier genauso am Rand sind, psychologisch und sozial. Ich sehe das als großes Manko, denn es ist nicht gut, dass der Papst nicht mit den Gläubigen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien, England ist. Das war ein Loch in seinem Pontifikat.
Sie haben Ihr neuestes Buch über Papst Franziskus „Der Unvollendete“ genannt. Was hinterlässt er seinem Nachfolger, Papst Leo XIV. zur Weiterführung?
Politi: Papst Franziskus hat Türen geöffnet, Breschen geschlagen und einen Durchbruch in wichtigen Punkten erlangt. Er hat die Sexbesessenheit der Kirche vom Tisch gewischt. Man diskutiert nicht mehr über die Pille, voreheliche Beziehungen, und es gibt die Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen. Er hat gesagt, dass die Homosexuellen Kinder Gottes sind wie alle anderen. Er hat einen transsexuellen Mann mit seinem Partner im Vatikan empfangen. Er hat die Diskussion zu verheirateten Priestern gestattet. In gewissen Punkten ist er auf halber Strecke geblieben. Hinter Franziskus können wir nicht mehr zurück. Man kann nicht mehr sagen: Lasst uns die Homosexuellen dämonisieren. Zum ersten Mal nach 1700 Jahren hatten die Frauen in einer Synode ein Stimmrecht. Das hat es noch nie gegeben. Man kann nicht mehr sagen: Frauen sollen keine Führungspositionen haben.
Und wie wird es Ihrer Meinung nach unter Papst Leo XIV. weitergehen?
Politi: Von ihm hängt ab, ob dieses Programm weitergeht. Papst Franziskus selbst hat seinen Idealnachfolger als Johannes XXIV. bezeichnet (Johannes XXIII. eröffnete das zweite Vatikanische Konzil mit Reformen, Anm. d. Red.). Papst Leo XIV. muss Spaltungen überbrücken und polarisierte Positionen zusammenbringen. Er muss das kanonische Gesetz und den Katechismus neu schreiben. Und vor allem muss er im Dialog mit der Menschheit stehen, nicht nur mit den Gläubigen.