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10. Juni 2025
Reportage:   Antje Pöhner   Fotos: Jörg Böthling
Reportage aus Äthiopien

Wenn nach der Dürre nichts mehr bleibt

In der Region Borana im Süden Äthiopiens haben die Bewohner seit Ende 2020 mit einer der schwersten durch den Klimawandel verursachten Dürreperioden zu kämpfen: Vier aufeinanderfolgende Regenzeiten blieben aus, Weideland verdorrte und Viehherden verendeten. Tausende Familien verloren nach und nach ihre Lebensgrundlage – bis ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihre Siedlungen zu verlassen und in größere Ortschaften und Städte weiterzuziehen. In Geflüchtetencamps suchen sie verzweifelt nach neuen Perspektiven.
10. Juni 2025
Text: Antje Pöhner   Fotos: Jörg Böthling

Eine Äthiopierin mit buntem Umhang und gemustertem Koptuch sitzt in einer Hütte. Neben ihr ein Junge im Grundschulalter, um den sie den Arm legt. Beide blicken in die Kamera.Vor der Dürre lebte Gilo Koracha mit ihrer Familie in eniem für die Gegend typischen Haus mit Grasdach.AUF FREMDE HILFE angewiesen zu sein, das ist für Gilo Koracha die größte Last. Ihr ist es daher ein Anliegen, von ihrem Leben vor der Armut zu berichten: Noch vor fünf Jahren habe sie mit ihrem Mann und den sieben Kindern in der südäthiopischen Savanne in einer kleinen Siedlung gelebt. In einem schönen Haus mit einem für die Gegend typischen Dach aus Gras. „Wir hatten 65 Ziegen, 27 Kühe und zwei Esel“, zählt sie auf. „Es gab immer genug zu essen, und wir haben mit dem Verkauf von Fleisch und Milch Geld verdient. Das war eine gute Zeit.“

Heute ist das Leben der 48-Jährigen und ihrer Familie ein völlig anderes: Sie sitzt auf ihrem Bett in einem mit Holzplanken und Plastikplanen notdürftig zusammengehaltenen Zelt. Die Innenwände hat sie mit bunten Tüchern verkleidet. Auf ihrem Schoß sitzt der sechs Jahre alte Guyo, das jüngste ihrer sieben Kinder. Seit fast vier Jahren leben sie in dem Camp für einstige Hirten und Viehzüchter am Rande der Ortschaft Dubuluk. Hierher haben sich viele Familien der Borana-Ethnie geflüchtet, als die Not zu groß wurde. „Die Dürre kam und ging nicht mehr“, sagt Gilo. „Das war das Ende.“ Anfangs versuchten sie und ihr Mann, Tiere zu verkaufen, um so Gras und Futter für das restliche Vieh organisieren zu können. Doch es reichte nicht mehr. Alle Tiere verendeten. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihr Land zu verlassen und in der nächstgrößeren Stadt Hilfe zu suchen.

Flüchtlingscamps für verzweifelte Familien

Camp mit kleinen Hütten, gedeckt mit weißen Plastikplanen. Dazwischen wurden notdürftig Zäune gepflanzt.Das Camp in Dubuluk. „So eine furchtbare Trockenheit habe ich hier noch nie zuvor erlebt“, sagt Father Kilimpe Garbicha. Der Priester stammt selbst aus der Region und gehört dem Orden der Spiritaner an, die die katholische Gemeinde von Dubuluk betreuen und sich dem Schicksal der geflüchteten Familien angenommen haben. Heute ist er im Camp bei Gilo und ihrer Familie zu Gast. „Die Männer, Frauen und Kinder saßen an der großen Hauptstraße, die in Richtung Süden direkt nach Kenia führt, und hofften auf Almosen von vorbeifahrenden Lastwagen“, erinnert sich der Ordensmann. Auf einem weitläufigen Gelände, das direkt an das Grundstück mit der kleinen katholischen Kirche und dem schlichten Pfarrhaus grenzt, errichteten die lokale Regierung und internationale Hilfsorganisationen schließlich das provisorische Lager für die vielen geflüchteten Familien der Borana-Region.

Rund 60 000 Menschen leben heute hier in Unterkünften, Zelten, runden Hütten und eilig zusammengezimmerten Verschlägen. Die Hygienesituation ist mit einigen wenigen Waschmöglichkeiten und Toiletten mehr als prekär. Immerhin gibt es eine kleine Schule, doch die wenigsten Kinder besuchen den Unterricht regelmäßig. Kaum beachtet blieb die Dürrekatastrophe und die Not der Bevölkerung von der Zentralregierung in Addis Abeba – deren Ressourcen konzentrierten sich in den vergangenen Jahren ganz auf den Bürgerkrieg in Tigray im Norden des Landes.

Immerhin kam zu Beginn der großen Dürre noch von vielen internationalen Organisationen Hilfe an. Damals wurden im Lager Nahrungsmittel und Schulutensilien verteilt. „Inzwischen ist aber fast jegliche Unterstützung verschwunden“, berichtet Father Kilimpe. Um die Menschen nicht vollkommen im Stich zu lassen, beschlossen er und seine Mitbrüder, mit regelmäßigen Nahrungsmittelhilfen und Essensausgaben für die Kinder auch weiterhin die größte Not zu lindern. „Außerdem überlegen wir, wie wir den Menschen hier langfristig eine Perspektive bieten können“, sagt Kilimpe. Die Bildung von Kooperativen sowie Projekte zur Kleinviehhaltung und dem Anbau von wetterresistenten Getreidesorten sind in Planung.

Klimawandel verschlimmert die Situation

Eine Äthiopierin mit T-Shirt, einem langen, gewickelten Rock steht vor der Eingangstür zu einer Hütte und telefoniert. Um sie herum stehnd und sitzend Bewohnerinnen und Bewohner des Camps, darunter auch Kinder.Die katholische Gemeinde von Dubuluk nimmt sich der Sorgen und Nöte der vertriebenen Hirtenfamilien an.„Nach den vier ausgefallenen Regenzeiten hat es im vergangenen Jahr endlich wieder Niederschläge gegeben. Allerdings waren diese so heftig, dass die ausgetrockneten Böden die Wassermassen nicht fassen konnten und ganze Landstriche überfluteten. „Wir dürfen uns nichts vormachen: Weidewirtschaft wird hier in der Region Borana keine Zukunft haben. Selbst die Familien, die ihren Viehbestand irgendwie durch die Dürre retten konnten, haben im Grunde keine langfristigen Perspektiven. Durch den Klimawandel wird es immer öfter zu langen Trockenperioden und anschließenden starken Überschwemmungen kommen“, prophezeit Father Kilimpe.

Er setzt sich gemeinsam mit dem Pfarrei- Team von Dubuluk regelmäßig mit Vertretern des Geflüchtetencamps zusammen, um über Alternativen für die Zukunft zu sprechen. In das fünfköpfige Gremium haben die Geflüchteten auch Gilo Koracha gewählt. Gilo ist stolz darauf, dass ihr die Campbewohner vertrauen. „Die Wahrheit ist: Wir leben hier alle ein furchtbares Leben“, sagt Gilo. „Die Trostlosigkeit macht uns schwer zu schaffen. Daher ist es wichtig, dass wir anfangen, nach vorne zu schauen. Uns allen ist es sehr unangenehm, dass wir es nicht alleine schaffen. Aber wir haben alles verloren. Aus eigener Kraft können wir uns nicht mehr retten.“

Nothilfe gegen den größten Hunger

Ein kleines Mädchen mit Kopftuch sitzt auf einem Plastikstuhl und hält eine Metallschüssel mit reis und ein paar Bohnen auf dem Schoß, in die sie mit der rechten Hand greift. Um sie herum weitere Kinder mit verschrecktem Blick in ähnlicher Pose.Viele Familien haben durch die Dürre ihre Lebensgrundlage verloren und sind auf die Lebensmittelhilfe der Spiritaner angewiesen. Die Nothilfe der Spiritaner nennt Gilo einen „großen Segen“. Mit den Lebensmittelrationen aus Mehl und Öl können die Familien Ugali – einen für die ganze Region typischen Getreidebrei – kochen und so den größten Hunger stillen. Außerdem versuchen die Geflüchteten auf den Flächen um ihre Unterkünfte Gemüse anzubauen. Direkt vor Gilos Hütte wachsen in einem kümmerlichen Garten ein paar Pflanzen. „Der Ertrag reicht nicht einmal dafür aus, um Guyo satt zu bekommen“, sagt sie verlegen. Der Sechsjährige ist daher ganz erpicht darauf, wenn auf dem Gelände der katholischen Pfarrei für die Kinder gekocht wird. Am Nachmittag, nachdem Father Kilimpe sich mit Gilo getroffen hat, ist es wieder einmal soweit.

Aus allen Winkeln des Camps kommen Jungen und Mädchen mit ihren Aluminiumtellern herbeigeeilt, um eine Portion Reis mit Bohnen zu ergattern. Die Essensausgabe findet in einem Nebengebäude des Pfarrhauses statt, in dem ursprünglich die Büros der Gemeinde untergebracht waren. 2022 funktionierten es die Spiritaner in eine Art Notkindergarten mit Speisesaal um. Zubereitet wird das Essen in einer angrenzenden Wellblechhütte.

Geduldig warten die Kinder in einer langen Schlange auf ihre Essensration und tragen ihre vollen Teller wie einen Schatz in den ehemaligen Büroraum voller bunter Plastikstühle. Auf den Tellern bleibt bei keinem der Kinder auch nur ein Rest übrig. Während die Kleinen mit Essen versorgt werden, werden nebenan in einer Ausgabestation Lebensmittel an die Erwachsenen verteilt.

Ein Sack Mehl und ein Kanister Öl müssen für einen siebenköpfigen Haushalt für eine Woche reichen. Glücklich nehmen zwei ältere Frauen ihre Ration entgegen. Sie heißen Damakule und Kabaledida, zwei Nachbarinnen von Gilo, so stellen sich die beiden vor. Auch sie wurden mit ihren Familien Opfer der Dürre, auch sie leben seit vier Jahren im benachbarten Camp. Geschickt befestigen die Frauen ihren jeweiligen 25-Kilo-Sack Maismehl mit Schnüren auf ihrem Rücken und schleppen die Lebensmittelration zu ihrem Not-Zuhause.

Ohne Perspektiven keine Zukunft

Einen Einblick, wie das Leben von Gilo, Damakule und Kabaledida vor der verheerenden Dürre seit Beginn der 2020er Jahre ausgesehen hat, gewährt eine etwa zweistündige Autofahrt über unbefestigte Feldwege in den kleinen Ort Dokole, aus dem die Familie von Father Kilimpe stammt. Hier hat die Dürre nicht den kompletten Viehbestand hinweggerafft – die widerstandsfähigen Ziegen überlebten und die Menschen können heute wieder von der Zucht der Tiere leben. Nach dem großen Regen wachsen auf den Weideflächen üppige Büsche und Gräser. Doch der Schein trügt, warnt Father Kilimpe. „Der Klimawandel macht das Wetter unberechenbar. Bei der nächsten Trockenzeit kann es Dokole genauso treffen wie zuvor Dubuluk. Ohne neue Perspektiven ist die Zukunft der Familien in der gesamten Grenzregion zu Kenia mehr als ungewiss.“

Die Dürrekathastrophe und ihre Folgen

Die Dürre in Ostafrika hat verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Umwelt. Sie führt zu Hunger, Unterernährung, Wasserknappheit, Viehverlusten und Vertreibungen. Besonders betroffen sind weite Gebiete in Äthiopien, Somalia, Kenia und dem Südsudan. Nach vier bis fünf ausgefallenen Regenzeiten brachten auch die Regenfälle Anfang 2024 keine spürbare Entlastung für die Bevölkerung. Allein in Äthiopien sind Millionen von Menschen von der Dürre betroffen und benötigen dringend Nahrungsmittelhilfen. Etwa sieben Millionen Nutztiere sind verendet. Viele Regionen hatten sich vor der aktuellen Dürreperiode noch nicht von der vergangenen Katastrophe von 2016 erholt.