Herr Bischof, Sie sind schon viel gereist. Zuletzt waren Sie als Weltkirche-Bischof in Nigeria. Ein Land, in dem Christen zunehmend verfolgt werden. Was haben Sie dort erlebt?
Bischof Bertram Meier: Ich habe viele Eindrücke von der schwierigen Situation der Christen gesammelt. Von systematischer Christenverfolgung würde ich aber nicht sprechen. Nigeria ist ein großes und äußerst komplexes Land, das trotz seines kulturellen und menschlichen Reichtums unter einer Vielzahl von Konflikten und Krisen leidet. Religion spielt für die Menschen vor Ort eine große Rolle; sie wirkt auch in die verschiedenen Konflikte hinein. Diese sind aber meistens nicht genuin religiöser Natur, was viele unserer nigerianischen Gesprächspartner immer wieder betont haben.
Extremismus und Krisen nehmen zu. Da gewinnt der interreligiöse Dialog an Bedeutung. Nun hat Sie Papst Leo XIV. in das vatikanische Dikasterium für den interreligiösen Dialog berufen. Wie kann die katholische Kirche hier wirken?
Bischof Bertram Meier: Sie sagen richtig, dass der interreligiöse Dialog ein wichtiges Instrument für die Lösung von Konflikten ist. Durch ihn können wir notwendige Brücken schlagen. Mit unserer weltumspannenden Kirche haben wir als Katholiken natürlich ein geeignetes Netzwerk für Gespräche, gerade auf politischer und diplomatischer Ebene. Die Kirche wirkt aber auch auf einer zweiten Ebene, an der Basis. Ich habe in Nigeria viele beeindruckende Beispiele gesehen: Christen engagieren sich in ihren Dörfern und Städten zusammen mit den muslimischen Nachbarn und gründen Initiativen für ein friedliches Miteinander. Sie versuchen durch Dialogforen und gemeinsame Aktionen, Vorurteile abzubauen und Gewalt vorzubeugen. Diese Graswurzelebene zu stärken ist ungemein wichtig.
In Nigeria wie auch in anderen Ländern erleben Sie immer wieder, wie die katholische Kirche an der Seite der Menschen steht und deren Lebensbedingungen verbessert. Gibt es ein Beispiel, das Sie in all den Jahren besonders beeindruckt hat?
Bischof Bertram Meier: Es gibt so viele Beispiele. Mich beeindruckt insgesamt die große Anzahl an Christen weltweit, die sich täglich in den unterschiedlichsten Kontexten engagieren und trotz aller Krisen, Katastrophen und Konflikte jeden Tag aufs Neue ihren Nächsten in den Blick nehmen.
Umso bitterer ist es, wenn Regierungen ankündigen, künftig weniger Geld für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen – oder diese sogar einstellen, wie im Fall von USAid.
Bischof Bertram Meier: Ich finde es erschreckend, wie schnell sich innerhalb des letzten Jahres in der Politik ein neuer Egoismus breitgemacht hat. Humanitäre Hilfe und Solidarität, sei es im eigenen Land oder über Grenzen hinweg, scheinen nicht mehr vorrangig zu sein. Nicht das Weltgemeinwohl gilt als Maßstab, sondern nur noch die eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen. Es wäre aber fatal, jetzt zu resignieren und den Diskurs denen zu überlassen, die meinen, alleine komme man am besten weiter. Denn wohin eine solche Haltung führt, sehen wir an den Folgen, die sich in vielen afrikanischen Ländern nach dem Wegfall der USAid-Mittel abzeichnen: Millionen von Menschen droht der Tod, weil Projekte im Kampf gegen Krankheiten wie Aids, aber auch akute Nothilfen wegbrechen.
Auch in Deutschland wurde bei der Entwicklungszusammenarbeit gekürzt. Das bedeutet am Ende auch weniger Geld für die katholischen Hilfswerke.
Bischof Bertram Meier: Diese Kürzung hat natürlich beachtliche Auswirkungen auf die Arbeit der Hilfswerke, auch wenn nicht alle von ihnen in gleichem Maße davon betroffen sind. Wir werden manche Projektpartner nicht mehr im erforderlichen Maße unterstützen können. Zusammen mit der evangelischen Kirche, die ja ebenso von den Kürzungen betroffen ist, haben wir uns deshalb bereits mehrfach dagegen ausgesprochen und bemühen uns auch weiterhin im Dialog mit der Politik um einen Sinneswandel.
Papst Leo XIV. ist seit einem knappen halben Jahr im Amt. Welche erste Bilanz ziehen Sie?
Bischof Bertram Meier: Papst Leo XIV. nimmt sein Amt auf eine ruhige und ausgleichende Art wahr, was in Anbetracht der weltpolitischen Lage von unschätzbarem Wert ist. Dabei zeigen die Wahl seines Namens und die ersten Worte auf der Papst-Loggia, was für ihn wichtig ist: die Erinnerung an Leo XIII. als Verweis auf die katholische Soziallehre und die sozial-caritative Ausrichtung der Kirche; der Friedensgruß als allererste Worte an die Welt, ein Frieden, der nicht nur eine politische, sondern auch eine geistliche Dimension besitzt; und dann das Augustinus-Zitat „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof“, das durchaus vermuten lässt, dass er den Weg einer synodalen Kirche, wie von Franziskus begonnen, fortsetzen wird.
Er lebte und arbeitete zuvor viele Jahre als Missionar in Südamerika. Mit dieser Erfahrung ist er nah dran an seinen Päpstlichen Missionswerken.
Bischof Bertram Meier: Ich denke, dass das für die Arbeit der Missionswerke ein großer Vorteil sein kann; dass da einer an der Spitze der Kirche steht, der mit dem Wirken der Missionswerke vertraut ist und um ihren wichtigen Beitrag im Gefüge der Weltkirche weiß. Papst Leo XIV. ist in vielerlei Hinsicht ein Mann der Weltkirche, und das wird sein Pontifikat sicherlich beeinflussen.
Im aktuellen Weltmissionsmonat nimmt missio München Menschenrechte am Beispiel der Philippinen in den Blick. Wie können wir in Zeiten zunehmender Menschenrechtsverletzungen unserer Verantwortung gerecht werden?
Bischof Bertram Meier: Am wichtigsten ist, dass wir uns nicht entmutigen lassen. Wir sind durch das Evangelium aufgerufen, unser Leben und unsere Gesellschaft so zu gestalten, dass sie dem Wohl aller dienen und nicht nur den eigenen Interessen; das ist „Geschwisterlichkeit“. Dazu sind wir als Gemeinschaft, aber auch als Einzelne aufgefordert. Das heißt, dass wir uns neben der gesellschaftlichen Ebene auch auf der Ebene unseres konkreten persönlichen Handelns um ebendiese Geschwisterlichkeit bemühen sollen. Da zählt jeder noch so kleine Beitrag.
Symbolträchtig ist, dass wir den Weltmissionssonntag im Oktober in Memmingen feiern. Der Ort, an dem vor 500 Jahren die Freiheitsrechte formuliert wurden, ein Vorläufer der Menschenrechts-Charta. Worauf freuen Sie sich?
Bischof Bertram Meier: Memmingen ist mit den Zwölf Artikeln von 1525 ein historisch äußerst bedeutsamer Ort für die Entstehung der Menschenrechte. Die in den Artikeln festgehaltenen Forderungen nach Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen entsprechen zutiefst unseren Überzeugungen als Christen. Ich freue mich daher besonders, dass wir den Gottesdienst zusammen mit den missio-Gästen von den Philippinen feiern können, die sich in ihrer Heimat für Menschenrechte einsetzen.