Skip to main content
21. Juli 2021
Reportage:   Christian Selbherr   Fotos: Jörg Böthling
Reportage aus dem Senegal

Wo Christen und Muslime zusammenhalten

Als im Jahr 2020 die Corona-Pandemie auch den Senegal erreichte, herrschte in manchen Gebieten Alarmstimmung. Denn Schwierigkeiten gab es auch ohne Virus schon genug: Der Regen blieb aus, die Ernte war schlecht. In einigen Dörfern der Region Kaolack drohte sogar der Hunger. Lockdown und Ausgangssperren verschärften die Not. Und nun?
21. Juli 2021
Text: Christian Selbherr   Fotos: Jörg Böthling

TEXT: CHRISTIAN SELBHERR FOTOS: JÖRG BÖTHLING

4 2021 reportage senegal bischofBischof Martin Boucar TineKLEINE GESCHENKE erhalten die Freundschaft – man darf vermuten, dass dieses Sprichwort in der einen oder anderen Form auch in Westafrika bekannt ist. Denn das französische Wort für Geschenk, also „cadeau“, ist in einem Land wie dem Senegal jeden Tag zu hören. Als „cadeau“ gilt ein bescheidenes Präsent zum Geburtstag ebenso, wie ein dickes Bündel Geldscheine als Begleitung bei einem profitablen Geschäftsabschluss.

Christen zu Gast beim Fastenbrechen

Mit einem kleinen Geschenk also ist die Gruppe von Katholiken aus der Stadt Kaolack unterwegs, die den muslimischen Imam von Sokoné besuchen möchte. Es ist Ramadan, also Fastenzeit, und erst abends nach Sonnenuntergang nehmen gläubige Muslime Nahrung zu sich. Umso größer die Freude, als die Gäste einen Karton voller Datteln für das abendliche Fastenbrechen überreichen. Der Imam bedankt sich wortreich, und lobt die guten Beziehungen zur Christengemeinde.

Gutes Zusammenleben von Christen und Muslimen

Vor wenigen Wochen, an Ostern, war es andersherum: Da seien die muslimischen Nachbarn zu Besuch gewesen, hätten Fleisch und andere Gaben vorbeigebracht und den Christen ein frohes Osterfest gewünscht. Das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen ist gut im Senegal. Das Land in Westafrika gilt sogar als Vorzeigebeispiel dafür, dass ein Leben in Harmonie und Frieden möglich ist.

Stabiles Fundament

Es s4 2021 reportage senegal dialogDer Imam empfängt katholische Nachbarnei „der Sockel, auf dem unsere Nation aufgebaut ist“, sagt Martin Boucar Tine. Er ist der katholische Bischof von Kaolack, einem sehr ländlich geprägten Gebiet, etwa drei Autostunden östlich der Hauptstadt Dakar.

Ein stabiler Sockel und ein festes Fundament können helfen, wenn gewaltige Herausforderungen das Zusammenleben erschüttern. Zum Beispiel, wenn plötzlich eine weltweite Pandemie daherweht, die ein Land, ein Volk, einen Kontinent ins Taumeln bringen kann.

Lockdown und Ausgangssperren

Anfang März des vergangenen Jahres wurden auch im Senegal die bekannten Maßnahmen ergriffen, für eine Weile galten Lockdown und Ausgangssperren. „Wir Religionsgemeinschaften haben den Staat unterstützt und sogar zugestimmt, dass wir eine Weile keine Gottesdienste mehr feiern konnten“, erinnert sich Bischof Tine.

Wer um die Frömmigkeit afrikanischer Christen weiß, kann erahnen, wie tief dieser Einschnitt gewesen sein muss. Glücklicherweise entwickelten sich die Dinge bald in eine bessere Richtung. Laut offiziellen Statistiken verzeichnete der Senegal von Beginn der Pandemie 2020 bis Mitte Mai 2021 rund 40.800 Infizierte und 1200 Todesopfer. Wenn auch jeder Einzelfall beklagenswert ist, so sind doch die Zahlen viel niedriger, als von vielen Seiten vorhergesagt worden war.

Folgen Pandemie sind hart

Trotzdem betont Bischof Martin Tine: „Die Pandemie hat die Menschen sehr hart getroffen, bis heute.“ Er denkt dabei vor allem an die Begleiterscheinungen. „Die Menschen leben von der Frucht ihrer Arbeit. Wenn das nicht möglich ist, dann wird es sehr schwer.“

Kleiner Grenzverkehr beschränkt

Zum Beispiel sind es die Menschen in dieser Region gewohnt, für ein paar Stunden oder Tage hinüber ins kleine Nachbarland Gambia zu fahren. Dort sind manche Dinge billiger – Zucker zum Beispiel. Für andere Waren gibt es jenseits der Grenze mehr Geld als zu Hause – Salz etwa ist bei den Nachbarn begehrt.

4 2021 reportage senegal marktTreiben am Markt - in Pandemie-Zeiten gibt es das nicht immer

Es wird in der Lagunenlandschaft um den Fluss Saloum gewonnen und sogar bis hinüber nach Mali und Burkina Faso verkauft. Doch dieser kleine Grenzhandel war vorübergehend ausgesetzt, die Grenzen blieben wegen Corona geschlossen.

Schlechte Ernte

Und ausgerechnet in diesem Seuchenjahr war auch noch die Regenzeit schlecht ausgefallen, die Ernten – ob für Erdnüsse, Cashew oder Hirse – erwiesen sich als deutlich magerer als in den Jahren zuvor. "Wir kamen also aus einer schwierigen Regenzeit", sagt Bischof Tine, ,"und dann traf uns noch die Pandemie.“

Lage gebessert

Er ist kein Mensch, der die Dinge hinterher dramatischer darstellen möchte, als sie wirklich waren. Deshalb deutet er nur an, dass in manchen Dörfern der Hunger vor der Tür stand. Viel lieber möchte er betonen, dass sich die Lage heute wieder gebessert hat. Nothilfe in Form von Lebensmittelspenden, die auch mit Geld aus Deutschland finanziert wurden, überbrückte die allerschlimmsten Tage.

4 2021 reportage senegal versammlungVersammlung am Dorfplatz - die Dame mit Maske ist von der PresseVor allem aber gelang es den Menschen vor Ort, sich selbst aus der Misere zu befreien. Das soll ein Ortstermin in der kleinen Landgemeinde Medina Sabakh zeigen. Auf dem staubigen Dorfplatz der Ortschaft Taiif hat sich wohl so gut wie das ganze Dorf versammelt. Weil Ramadan ist, gibt es kein Festessen, und auch keine festliche Musik – der Anlass ist dennoch ein freudiger.

Dank für die Hilfe

Die Dorfgemeinschaft möchte sich bedanken bei einer Abordnung der kirchlichen Caritas, die sich um die Entwicklungsprojekte auf dem Land kümmert. Und bei Vertretern der Regierung, mit denen die Kirche zusammenarbeitet. Der Bürgermeister zählt dazu, und ebenso der „Unterpräfekt“ der zuständigen Verwaltungseinheit, der als Regierungsbeamter den Staat repräsentiert.

Es gibt allerlei Dankesreden und Ansprachen. „Der Staat“, betont der Präfekt, ,,tut sein Bestes, um den Menschen auf dem Weg der Entwicklung zu helfen.“ Aber angesichts der gewaltigen Herausforderungen könne der Staat eben nicht alles alleine schaffen.

Wenn das Wasser knapp wird

4 2021 reportage senegal frauen brunnenDer Brunnen der Frauen ist versiegtMan sei dankbar für Partner wie die katholische Kirche – auch in einer Region wie Medina Sabakh, in der so gut wie keine Christen leben. Leider aber lässt sich nicht jedes Problem sofort beheben, wie sich bei der anschließenden Projektbesichtigung zeigt. Vielmehr tritt manchmal schon ein neues Problem auf, während das alte noch gar nicht richtig gelöst ist.

Da ist also eine Gruppe von etwa zehn Frauen, die gemeinsam ein großes Feld bewirtschaften. Jede kümmert sich um eine Parzelle, die Erträge verkaufen sie gemeinsam. In den Beeten wachsen Tomaten und Zwiebeln, es sah bisher alles nach einer guten Ernte aus. Doch plötzlich wurde das Wasser knapp, der gemeinsam genutzte Brunnen, vor kurzem erst mit Spenden gebaut, gibt nichts mehr her.

Unbezahlte Rechnungen

„Sie müssen etwas tun!“, schleudern einige Frauen den beiden Regierungsmännern zornig entgegen. Der Präfekt schweigt lieber erst einmal, der Bürgermeister versucht, die aufgebrachten Frauen zu besänftigen. Gibt es ein technisches Problem, ist vielleicht ein Wasserrohr beschädigt? Nein, stellt sich heraus, daran liegt es nicht. Die Frauen konnten die Rechnung nicht bezahlen, und so wurde ihnen unerbittlich die Wasserzufuhr abgestellt. Warum?

Wasserversorgung liegt bei Konzernen

4 2021 reportage senegal platzDie Region Kaolack leidet unter WassermangelAuch der Senegal gehört zu den Ländern, die die Wasserversorgung in die Hände von Großunternehmen geben, die gemeinsam mit dem Staat eine zuverlässige Versorgung sicherstellen sollen. Allzu oft lautet aber der Vorwurf, dass dahinter nur Profitstreben steckt, und nicht der Sinn fürs Gemeinwohl. Ist das auch hier der Grund? Es lässt sich nicht auf Anhieb klären. So verspricht der Bürgermeister nur: "Ich werde mich darum kümmern."

Getreidespeicher für Notzeiten

Noch eine Station steuert die Gruppe an: Es sind einige Getreidespeicher, mit Unterstützung der Kirche angelegt, die den Menschen Hilfe in Notzeiten bieten sollen. Hier können Bauersfamilien einen Teil ihrer Ernte einlagern und so das Saatgut für die nächste Pflanzperiode aufbewahren. Und falls die Vorräte zu Hause knapp werden, finden sie hier noch einmal eine Notration.

Sonst besteht oft die Gefahr, dass alle Bauern sofort nach der Ernte gleichzeitig ihre gesamten Erträge auf den Markt bringen. Weil sie schnelles Geld benötigen, und die Aufkäufer und Zwischenhändler sie mit vermeintlich guten Preisen locken.

4 2021 reportage senegal marktIm Senegal werden auch Cashewnüsse angebautDann bleibt aber in Tagen der Not oft nichts mehr übrig, und die Menschen müssen selbst wieder Getreide zukaufen. Manche Händler nutzen dann diese Lage aus und verlangen viel Geld, die Familien stürzen in die Schuldenfalle.

Christen sind akzeptierte Minderheit

Hilfe in Notzeiten, und ein Rüstzeug für künftige Krisen – das möchte die Kirche den Menschen in diesem Teil der Welt geben. „Das reicht von unseren Schulen bis zu den Gesundheitsstationen“, sagt Bischof Martin Boucar Tine. Indem sie Gutes tun, werden Christen als Minderheit auch im islamischen Umfeld akzeptiert und hoch geachtet. Doch was, wenn die Helfer selbst in Not geraten?

Ordensfrau erkrankt an Covid-19

4 2021 reportage senegal schwesterSr. Dominique ClervalDominique Clerval ist eine Ordensfrau aus Frankreich, die schon lange im Senegal arbeitet. Sie leitet ein Zentrum, in dem Kinder mit Behinderung betreut und unterrichtet werden. Hat es hier Fälle von Corona gegeben? „Ja“, sagt Schwester Dominique und zögert kurz. Dann fügt sie hinzu: „Ich selbst. Ich gehörte zu den ersten, die von der Krankheit betroffen waren.“ Sie sei ziemlich schwer erkrankt gewesen, berichtet sie. „Ich spüre die Folgen noch immer.“ Wo sie sich angesteckt hat, weiß sie nicht.

Es gab eine Versammlung der Ordensgemeinschaft in Dakar, aber da hätten alle Abstand gehalten und Masken getragen. Wie auch immer: Heute sind Jahre vergangen, seit das Virus in die Welt kam. Die Probleme sind nicht weniger geworden. Aber die Zuversicht soll überwiegen, trotz allem.

Der missio Newsletter

Gerne möchten wir mit Ihnen in Kontakt bleiben und Ihnen zeigen, was weltweit dank Ihrer Hilfe möglich ist.

 Newsletter abonnieren

 missio Newsletter