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12. Juni 2023
Reportage:   Barbara Brustlein   Fotos: Jörg Böthling
Reportage aus Kenia

Zweifelhafte Großprojekte

Seit August vergangenen Jahres hat Kenia eine neue Regierung. Von ihren Vorgängern hat sie bombastische Infrastrukturprojekte geerbt und den dazugehörigen Schuldenberg. Nun soll alles anders werden. Der Weg in die Zukunft soll vor allem eines sein: klimaneutral und nachhaltig.
12. Juni 2023
Text: Barbara Brustlein   Fotos: Jörg Böthling

Reportage Kenia Infrastruktur1Schiene statt Straße: Der Schnellzug von Nairobi nach Mombasa war als Vorzeigeprojekt gedacht.WAS WURDE ER NICHT geschmäht: Als "Zug ins Nirgendwo" wurde der Madaraka-Express bezeichnet. Als fahrende Schuldenfalle. Als Bimmelbahn für Touristen, die bombastisch wirkt, aber weder elektrifiziert ist noch richtig schnell. Nigelnagelneu, aber zugleich schon wieder veraltet. Die Zugverbindung zwischen der kenianischen Hafenstadt Mombasa und der Landeshauptstadt Nairobi war von Anfang an von Ärger, Querelen und Schlagzeilen begleitet. Denn die Bahnlinie ist mit über drei Milliarden Euro das teuerste Infrastrukturprojekt, das sich Kenia jemals geleistet hat. Oder, um genauer zu sein, das Mammutprojekt, für das sich Kenia stärker bei China verschuldet hat als jemals zuvor in der Geschichte des Landes. So sehr, dass das ostafrikanische Land, das als wirtschaftlicher Motor und Stabilitätsanker in der Region gilt, Anfang des Jahres  zahlungsunfähig war.

Schienennetz soll die Wirtschaft ankurbeln

Weit außerhalb des Zentrums der Metropole liegt die Bahnstation. Wer zum Zug will, muss zumeist also erst einmal durch den unvermeidlichen Stau – ganz gleich, ob in der eigenen Limousine oder in einem der Matatu genannten Kleinbusse. Die Kolonnen von Autos, die sich jeden Tag durch die ostafrikanische Metropole quälen, sind berüchtigt. Ebenso das Schrittempo der Lastwagen, die sich auf der Straße in die Küstenstadt Mombasa, die zweitgrößte Stadt Kenias, aneinanderreihen. Hier sollte der Madaraka-Express Abhilfe schaffen: Schiene statt Straße, umweltfreundlich und wirtschaftlich. Das war die Idee. Und damit ist Kenia nicht allein, denn beim Streckenausbau ist in Ostafrika fast so etwas wie ein regionaler Wettbewerb entstanden, denn ein funktionierendes Schienennetz soll die eigene Wirtschaft ankurbeln. 

Dass in Kenia, anders als etwa im Nachbarland  Tansania, die Kosten so explodiert seien, habe, heißt es, mit einem der Grundprobleme des Landes zu tun: der Korruption. Im Madaraka-Express jedenfalls ist heute nicht viel los: Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern besetzt kichernd ein paar der rotbezogenen Sitze. Die jungen Leute zücken ihre Handys, als die Bahn durch den Nationalpark rauscht, vorbei an Antilopen und Giraffen. Die Trassen durch das Naturschutzgebiet – ein weiterer Aufreger, für den das chinesische Bauprojekt gesorgt hat. Einige Sitzreihen hinter der Schülergruppe sitzt ein Geschäftsmann. Er fährt zu einem  Gewerkschaftstreffen in Mombasa. Ob er den Zug gerne nutze? "Hin und wieder" sagt er. Etwas zu umständlich sei er ihm.

Flair eines Flughafens

Reportage Kenia Faith MurungaSchafft es das neue Terminal am Rand Nairobis, den Verkehr zu verringern?Der Bahnhof in Nairobi wirkt wie ein internationaler Flughafen – Sicherheitsvorkehrungen und uniformierte Hostessen inklusive. Aber weder  Personen- noch Güterzug wirtschaften ihre Kosten herein: zu langsam, zu viele Leerfahrten. Deshalb bekamen auch die chinesischen Investoren beim Ausbau der geplanten weiteren Strecken kalte Füße, und das Großprojekt blieb stecken. Der Madaraka-Express ist dabei nur eine der China-Kooperationen des vormaligen Staatschefs Uhuru Kenyatta: Fußballstadien, Flughäfen, die Stadtautobahn in Nairobi – die Mammutprojekte reihten sich aneinander. Und der Schuldenberg wuchs. "Was stimmt ist: Ohne Infrastruktur kommt Kenia nicht voran. Und selbst die Investitionen aus  China hatten auch etwas Gutes: Sie haben Arbeitsplätze geschaffen und Stipendien für Studierende. Aber die Schulden lähmen uns bis heute", sagt Father James Kimani Kairu.

Der Geistliche kommt aus Eldoret, der westkenianischen Provinz, aus der der neue Präsident stammt, der den Schuldenberg geerbt hat. William Ruto ist angetreten, um alles anders zu machen – nach einem Wahlkampf, bei dem im Vorfeld Gewalt und Ausschreitungen befürchtet worden waren, glücklicherweise aber ein friedlicher Übergang gelang. "Ruto präsentiert sich als Fürsprecher der einfachen Leute. Ich habe den Eindruck, die Leute hören sich die Versprechen erst einmal an und warten ab, was passiert", sagt der Priester. Seine eigene Geschichte schildert der neue Staatspäsident dabei als Erfolgsstory eines Mannes, der sich vom Verkauf von Hühnereiern in den Straßen Nairobis zum mächtigsten Mann des Landes heraufgearbeitet hat. Und verspricht, dass mit ihm auch für das kenianische Volk alles anders werden soll: Weg von den teuren Riesenprojekten, in denen das Geld nur so versickert. Hin zu Chancen für die einfachen Leute.

Scholz lobt Kenia als "Klimachampion"

"Wie das gelingen kann, werden wir abwarten müssen. Die Verschuldung, die die neue Regierung geerbt hat, ist enorm. Als erstes musste der neue Staatspräsident Sozialleistungen streichen. Es ist ein Spagat: Die neue Regierung will ihre wichtigsten Versprechen halten, muss aber das Land aus dem desolaten Zustand führen", sagt auch der Ostafrika- Experte der Hanns-Seidel-Stiftung in Kenia, Daniel Seiberling. In Mombasa jedenfalls überwogen anfangs die Sorgen: Mit der neuen Bahnlinie kam die Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen. Wenn die Güter auf die Schiene wanderten, was würde dann aus den Lastwagenfahrern? Wenn die Waren der großen Frachter erst in Nairobi verzollt würden, wie könnten dann die Hafenarbeiter hier ihr Geld verdienen? Dazu kam die Sorge vor dem Ausverkauf an die Chinesen. Der Hafen von Mombasa, wurde vermutet, sei als Pfand in dem Vertrag zwischen Kenia und China hinterlegt. Eine Bürgerinitiative namens Okoa Mombasa und ihr Gründer Khelef Khalifa setzten sich dafür ein, das Vertragswerk öffentlich zu machen – mit Erfolg. Die Hafengeschäfte gingen als eines der ersten Versprechen, die William Ruto einlöste, zurück an die Küste. Die Lastwagen fuhren wieder. Das mag einige Arbeitsplätze erhalten haben, für die Umwelt war es sicher eine schlechte Entscheidung.

Trotzdem: Kenia sei "Klimachampion", lobte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, als er im Mai 2023 das ostafrikanische Land besuchte. Der Anteil erneuerbarer Energien, aus denen Kenia seinen Strom bezieht, liegt bei über 90 Prozent. Geothermie, die Gewinnung von Energie durch Hitze aus dem Inneren der Erde, spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch Windenergie, Wasserkraft und natürlich  Solarenenergie.

Grüner Wasserstoff soll klimaneutrale Industrien schaffen

Reportage Kenia Infrastruktur32030 will Kenia allen Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Als Hoffnung gilt grüner Wasserstoff, eine Technologie, die noch nicht ausgereift ist, aber künftig klimaneutrale Industrien schaffen soll. Kenia und Deutschland sind zudem durch die globalen Entwicklungen so verbunden wie nie: Die Folgen der Coronapandemie, des Ukrainekriegs, der Inflation, der steigenden Preise für Energie und Nahrungsmittel treffen beide Länder. 

Kenia nimmt nicht mehr vor allem China, sondern die westliche Welt in den Blick. Und Deutschland kann nicht mehr auf den Energielieferanten Russland setzen. Auch angesichts dieser Entwicklungen ist Präsident Ruto bei seinem Deutschlandbesuch im März mit einigem Selbstbewusstsein aufgetreten. „Das Potenzial des afrikanischen Kontinents für die Produktion erneuerbarer Energien ist 50 mal so groß wie der prognostizierte globale Energiebedarf 2040“, sagte er.

Dass der afrikanische Kontinent eines Tages von seinem auch in dieser Hinsicht immensen Reichtum profitieren kann, bleibt zu hoffen. "Man könnte sagen, dass Afrika nicht viel zum Klimawandel beigetragen hat. Dennoch entgeht der Kontinent nicht dessen negativen Auswirkungen sowohl auf die Volkswirtschaften als auch auf die Gesundheit der Menschen und das Wohlergehen der Gemeinschaft", schreibt der Erzbischof von Mombasa, Martin Kiviva Musonde, in einem Beitrag für den Jahresbericht der Erzdiözese Köln. "Als Afrikaner müssen wir ethisch-wissenschaftliche Kenntnisse anwenden, um für unsere Umwelt zu sorgen. Wir müssen selbst Umweltschützer sein, und in einer nachhaltigen Weise in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes leben", schreibt er. Wird das zusammengehen – wirtschaftlicher Fortschritt, notwendige Industrialisierung und Bewahrung der Schöpfung? Die Notwendigkeit ist für den Erzbischof von Mombasa klar: "Eine neue Umweltethik zu entwickeln und  anzuwenden, ist nichts weniger als eine Frage von Leben und Tod – wenn nicht für unsere Generation, dann für die, die folgen werden."

KENIA: ENTWICKLUNG UND UMWELT

"Die großen Infrastrukturprojekte der Vergangenheit – Bahnlinie, Nairobi Expressway, Fußballstadien und Flughäfen – haben Kenia außer horrenden Schulden wenig gebracht", sagt Daniel Seiberling, Projektleiter Kenia und Äthiopien der Hanns-Seidel-Stiftung. Das Geld sei in wenig nachhaltige Prestigeprojekte investiert worden. Das Beispiel des Madaraka-Expresses belege dies deutlich: "Wenn schon eine Bahnlinie Mombasa–Nairobi, dann braucht es eine elektifizierte Gütertransportmagistrale mit entsprechender Infrastruktur an beiden Enden – und nicht eine Touristenbahn."

Den Paradigmenwechsel der Regierung Ruto wertet der Ostafrika-Experte daher als richtig. Eine Herausforderung sei es, die notwendige Industrialisierung voranzutreiben und die Umwelt zu bewahren. Kenia produziere selbst weniger als 0,1 Prozent der weltweiten Treibhausemissionen – dennoch habe es sich auf der Klimakonferenz verpflichtet, diese um 32 Prozent zu senken und im Gegenzug Gelder zugesagt bekommen. "Das ist dann eine Industrialisierung mit einer Hand auf dem Rücken." Kenia produziere über 90 Prozent seines Stromes aus erneuerbaren Quellen, vor allem Geothermie. Dagegen heizten rund 80 Prozent der Küchen nach wie vor mit Holzkohle. "Mit dem Ökostrom werden die Handys geladen, aber in der Küche glüht der Kohleherd."

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