Eminenz, wie nah ist der Frieden in Israel und Gaza?
Pizzaballa: Frieden ist zuviel gesagt. Soweit sind wir noch nicht. Wir befinden uns in einer ersten Phase des Waffenstillstands. Die Grenzen sind noch geschlossen und die Versorgung der Bedürftigen bleibt schwierig.
Sie klingen ernüchtert.
Pizzaballa:Wenn Sie auf meine Hoffnung auf eine politische Lösung des Konflikts anspielen: Ich glaube nicht, dass wir viele Chancen haben. Das Misstrauen allerorten ist groß und es gibt viele Hindernisse. Aber ich hoffe auf etwas anderes, und zwar auf das, was dem Engagement so vieler Menschen entspringt, die eine Veränderung wollen.
Die Kirche spricht sich seit Jahren für eine Zwei-Staaten-Lösung aus. Bleiben Sie dabei?
Pizzaballa: Wir stehen nach wie vor hinter dieser Idee. Aber natürlich ist sie ein Ideal. Und es gibt ja auch noch das Westjordanland, wo es immer wieder große Probleme gibt im Miteinander. Um die Voraussetzungen für eine Lösung des Konflikts zu schaffen, brauchen wir Zeit und eine neue Führung auf beiden Seiten, die es schafft, die Menschen zu vereinen.
Es muss nach zwei Jahren Krieg viel Hass und Polarisierung geben.
Pizzaballa: Ja. Besonders die junge Generation leidet darunter. Es fehlt an Vertrauen, an Liebe, an Perspektiven. An diesem Punkt müssen wir ansetzen.
Wie kann das gehen?
Pizzaballa: Mit einem starken Netzwerk aus allen, die sich für Frieden engagieren. Worte sind mächtig, das haben wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt. Aber am Ende müssen Taten zeigen, dass die Kultur der Gewalt umkehrbar ist.
Was kann die katholische Kirche dazu beitragen?
Pizzaballa: Wir sind ja, wie überhaupt die Christen, nur wenige im Heiligen Land. Aber Religion spielt hier eine wichtige Rolle. Unser Vorteil als Minderheit ist, dass sich keine Partei von uns bedroht fühlt und wir alle Seiten erreichen können. Wir sollten Begegnung möglich machen. Wir haben überall im Land Gemeinden, können also Räume dafür schaffen. Darüber hinaus müssen wir eine neue Form des interreligiösen Dialogs finden. Wir können nicht an die Zeit vor dem Krieg anknüpfen. Wir brauchen einen Dialog der religiösen Führer. Aber auch Schulen und Bewegungen von der Graswurzel müssen dabei sein.
Hat das schon begonnen?
Pizzaballa: Bislang gibt es nur einzelne, voneinander isolierte Bewegungen. Aber ich bin guter Dinge. Erst gestern war ich an der Universität von Haifa bei einem Treffen. Junge Christen, Juden und Muslime tauschten sich in einem ehrlichen Dialog und in ihrem Wunsch nach Frieden aus. Wir befinden uns hier im Herzen des interreligiösen Dialogs der großen monotheistischen Religionen. Aber die Wunde ist offen. Wir suchen also noch nicht die große Öffentlichkeit. Viele Menschen würden das zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstehen.
Wie steht es um Ihre persönlichen Kontakte zu Rabbinern oder Imamen?
Pizzaballa: Ich pflege gute Beziehungen. Aber natürlich wird immer unterschieden zwischen mir als Person und meiner offiziellen Position. Von jüdischer Seite höre ich häufig, dass wir Christen uns nicht solidarisch genug verhalten hätten nach dem 7. Oktober. Muslime hingegen bewerten uns manchmal nach dem, was sie von evangelikalen Kirchen hören. Das kann also sehr einseitig sein.
Christen stehen in Israel seit Jahren unter Druck. Kürzlich wurde ein christliches Dorf im Westjordanland von radikalen Siedlern attackiert. Kein Einzelfall. Warum ist das so?
Pizzaballa: Es gibt eine Kultur der Gewalt in diesem Land. Aber was den Christen widerfährt, widerfährt auch anderen. Sie werden zur Zielscheibe nicht nur wegen ihres Glaubens, sondern auch – wie im Fall des Dorfes Taybeh – weil sie Palästinenser sind. In Jerusalem ist es anders. Dort greifen immer wieder junge jüdische Siedler oder Rabbinerschüler Christen an. Das betrifft besonders bestimmte Viertel und ultra-orthodoxe Gemeinden.
Der Druck steigt auch von offizieller Seite. Die Regierung will die Befreiung von der Kommunalsteuer für christliche Einrichtungen aufheben.
Pizzaballa: Eine ernste Sache. Vor allem, weil es um hohe Summen geht, die wir Jahrzehnte rückwirkend begleichen sollen. Das ist unmöglich, dann müssten wir viele unserer Angebote schließen. Wir Kirchen sind uns einig, dass kommerzielle Aktivitäten künftig besteuert werden können. Aber die vielen sozial-karitativen Angebote, wie Altenheime, dienen schließlich dem Dienst an der Gesellschaft.
Immer mehr Christen verlassen die Region. Welche Zukunft haben sie im Heiligen Land?
Pizzaballa: Unsere Zahlen sind niedriger als im Irak, in Syrien oder im Libanon, wo insgesamt mehr Christen leben. Aber wir sind jetzt schon eine kleine Gemeinschaft und darum besorgen mich diese Zahlen. Letztendlich sind sie auch in Teilen politischer Natur. Es geht um Zukunftsperspektiven, besonders der jungen Generation. Und auch für diese ist es nicht nur eine Frage des Geldes, sondern eben auch eine Frage der Lebensbedingungen.
Lassen Sie uns nach Gaza blicken. Sie haben im Krieg Kontakt gehalten zur einzigen katholischen Pfarrei „Holy Family“ und waren auch dort. Was können Sie uns berichten?
Pizzaballa: Die Situation bleibt schwierig. Es fallen zwar keine Bomben mehr, die Bewohner können das Gelände einigermaßen sicher verlassen. Während des Krieges ging es rein ums Überleben, um das tägliche Brot. Jetzt machen sich die Menschen Sorgen um ihre Zukunft. Sie haben ihre Häuser verloren, es gibt keine Jobs. Sie fragen sich: Wie soll es weitergehen? Die Gemeinde hat inzwischen Unterricht für die Kinder organisiert. Nicht im Schulgebäude, das ist zerstört. Aber in Zelten.
Sind geflüchtete Familien in die Pfarrei zurückgekehrt?
Pizzaballa: Ja. Jeder möchte nach seinem Haus sehen. Aber 90 Prozent aller Gebäude sind zerstört. Aktuell sind es 545 Gemeindemitglieder. 30 von ihnen sind schon weggegangen. Ich gehe davon aus, dass sich weitere anschließen werden.
Hat diese kleine Gemeinde in Gaza eine Zukunft?
Pizzaballa: Die Pfarrei wird weiter bestehen. Mit Pfarrer Gabriel Romanelli sind drei Priester dort und fünf Schwestern. Wir haben Pläne: Wir wollen eine Schule bauen, und wir brauchen ein Krankenhaus. Wichtig ist ein Zentrum, in dem wir Armenspeisungen anbieten wollen. Wir richten gerade ein Büro ein, wir wollen vorbereitet sein, sobald wir loslegen können.
Werden Sie bald wieder hinfahren?
Pizzaballa: Noch vor Weihnachten bin ich dort.
Papst Leo XIV. hat auch schon geholfen, ist zu lesen?
Pizzaballa: Ja, er hat uns unter anderem Geld gesendet und 5000 Packungen Antibiotikum.
Sollte er nicht kommen? Frieden ist sein Thema.
Pizzaballa: Nicht jetzt. Es ist noch zu früh. Aber er ist immer in Kontakt mit uns.
Wie feiern Sie Weihnachten? Zwei Jahre lang gab es keinen Christbaum in Bethlehem.
Pizzaballa: Wir wünschen uns ein Weihnachten so normal wie möglich. Es ist an der Zeit, neu anzufangen. Das ist ein guter Anlass. Es gibt Menschen da draußen, die sagen uns: Ihr müsst doch auf den Frieden warten! Aber wir wollen nicht warten, wir wollen anfangen.