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14. März 2023
Reportage:   Antje Pöhner   Fotos: Friedrich Stark/missio München
Reportage aus Nepal

Wasserkraft und Frauenpower

Das verheerende Erdbeben in Nepal im Jahr 2015 zerstörte in der kleinen Gemeinde Koshidekha nicht nur den Großteil der Häuser, es legte auch die Wasserversorgung komplett lahm: Pumpsysteme zerbarsten, Quellen versiegten. In Schwerstarbeit schleppten die Frauen des Dorfes seitdem Wasser vom Fluss hinauf in ihre wiederaufgebauten Häuser. Das hat jetzt ein Ende: Ordensschwestern organisierten den Bau einer modernen Wasserversorgung.
14. März 2023
Text: Antje Pöhner   Fotos: Friedrich Stark/missio München

In Nepal sind traditionell noch immer die Frauen für die Wasserbeschaffung zuständig.DREI STUNDEN brauchte Mamata Uprety, um die tägliche Ration Wasser unten am Fluss zu holen und in das kleine Haus der Familie oben am Hang hinaufzutragen. Rund 30 Liter gehen in den Plastiktank, den die junge Frau bis vor einigen Monaten noch auf dem Rücken - mit einem breiten Band auf ihrer Stirn befestigt – die kurvigen Schotterwege hinaufgeschleppt hat: Tag für Tag, Woche für Woche. In Nepal sind traditionell noch immer die Frauen für "Hausarbeiten" wie die Wasserbeschaffung zuständig. Wenn Mamata jetzt für sich und ihre kleine Familie Wasser benötigt, muss sie nur vor die Tür ihres Hauses gehen und den Wasserhahn aufdrehen. "Das Leben ist so viel leichter geworden. Es ist herrlich, wenn man fließendes Wasser zum Trinken, für die Tiere und zum Kochen und Waschen hat“, schwärmt die 24-Jährige und hält zur Demonstration gleich eine kleine Blechschüssel unter den Hahn. Neben ihr steht Schwester Maya Amolik. Ihre Mitschwestern vom Orden der "Sisters of Charity of Nazareth" – in  Nepal bekannt als „Nepal Nazareth Society" – haben das Wasserprojekt hier in Koshidekha vor rund fünf Jahren ins Leben gerufen und dafür gesorgt, dass die Frauen eines ganzen Dorfes von einer großen Last befreit wurden.

Frauen halten zusammen

Etwas mehr als 500 Häuser zählt Koshidekha. Das Dorf liegt rund 60 Kilometer südöstlich von Nepals Hauptstadt Kathmandu malerisch an einem Hang, unten durch das Tal fließt der Fluss Sunkoshi. Die rund 3000 Bewohner des Dorfes leben meist zu mehreren Generationen unter einem Dach und verdienen sich ihr Geld als Kleinbauern. So auch die Familie von Mamata Uprety. Sie lebt hier mit ihrem Mann Bikash Mainai, ihren Schwiegereltern und dem eineinhalbjährigen Sohn Bisal. Stolz erzählt Mamata von ihrem Hof. Die Familie besitzt eine Kuh, zehn Ziegen, ein halbes Dutzend Mangobäume, dazu bewirtschaften sie ein kleines Senffeld und ein größeres Gemüsebeet. „Das ist alles nur möglich durch den Einsatz der Schwestern“, sagt die junge Frau. Sie erinnert sich noch gut daran, wie am 25. April um 11.56 Uhr Ortszeit die Erde zu beben begann. Keiner in Koshidekha glaubte nach der Katastrophe daran, hier jemals wieder ein normales Leben führen zu können. „Von den 507 Häusern wurden 478 vollkommen zerstört, viele Menschen verloren ihr Leben“, berichtet Schwester Maya. Das Erdbeben mit mehreren Nachbeben war das schlimmste, das Nepal jemals erlebt hat. Fast 9000 Menschen starben, mehr als 600 000 Häuser wurden vollständig zerstört, Millionen waren obdachlos.

Auch in Koshidekha lebten die Menschen mit ihren geretteten Habseligkeiten zunächst in eilig errichteten Behelfsunterkünften aus Wellblech und Zeltplanen. "Als unsere Leute keine andere Chance mehr sahen, als das Dorf zu verlassen, kamen die Schwestern", sagt Gemeindevorsteher Sukubir Tamang. "Durch sie hat das Dorf ein neues Leben bekommen!" Die Schwestern der "Nepal Nazareth Society", die vor dem Beben im Dorf bereits eine Nähschule errichtet hatten, hatten sich kurzerhand entschlossen, den Menschen unkompliziert beim Wiederaufbau ihrer Häuser zu helfen. Mit der finanziellen  Unterstützung von missio München organisierten sie eine Maschine, mit der die Familien die Ziegel für ihre neuen Häuser selbst herstellen konnten. Zusammen schafften sie es, die Häuser nach und nach wieder aufzubauen. Schnell wurde allerdings klar, dass es damit allein nicht getan war.

Gemeinsames Engagement

Mamata Uprety (links) freut sich gemeinsam mit Schwester Maya über das fließende Wasser.Durch die Naturkatastrophe war auch die Wasserversorgung in dem am steilen Hang liegenden Dorf völlig zum Erliegen gekommen. Viele Quellen waren versiegt, das Leitungssystem zerstört. Die tägliche Last des Wasserschleppens lag wieder bei den Frauen. Also rief Schwester Aisha Kavalakattu – die Vorgängerin von Schwester Maya – das Wasserprojekt von Koshidekha ins Leben. In den folgenden fünf Jahren entstand dank vieler missio-Spendengelder und  der Mithilfe der gesamten Dorfgemeinschaft eine moderne Wasserversorgung mit Pumpenhaus, Betontanks, Rohren und Pumpen. "Die Menschen waren froh, an der Entscheidungsfindung beteiligt zu sein, sich selbst mit Beamten zu treffen und Genehmigungen bei den Behörden einzuholen", erinnert sich Schwester Aisha. Sie betreut heute für die Schwesterngemeinschaft im Osten Nepals andere Frauenprojekte und hat die Verantwortung für das Wasserprojekt daher vor etlichen Monaten in die Hände von Schwester Maya gegeben. Nun sind die Dorfbewohner selbst verantwortlich für ihr Wassersystem. Neun Arbeiter und Handwerker kümmern sich um Wartung und Reparaturen, ein Komitee aus Dorfbewohnern organisiert die Verwaltung der Finanzen: Jeder Bürger beteiligt sich mit einem kleinen finanziellen Beitrag von umgerechnet 2,50 Euro im Monat an der Wasserversorgung. 

"Das Projekt ist ein Segen"

Im Gegenzug gibt es pro Person täglich 50 Liter Wasser aus der Leitung – Dafür hätte Dorfbewohnerin Mamata Uprety früher einen beschwerlichen Fußmarsch von sechs Stunden auf sich nehmen müssen. "So viel Wasser nutzen zu können, war für uns vorher undenkbar", sagt die junge Frau. Schwester Maya Amolik freut sich: "Die Menschen hier sagen mir immer wieder, dass  das Projekt ein Segen für sie ist. Es hat ihnen geholfen, sauberes Trinkwasser zu bekommen und ohne Schwerstarbeit ihre Felder bewässern zu können." Die Ordensfrau gibt zu, dass sie auch ein klein wenig gerührt ist von der großen Dankbarkeit, die den Schwestern hier von allen Seiten entgegengebracht wird: "Die Menschen in Koshidekha sagen, dass Gottes Füße durch uns in ihr Dorf gekommen sind. Das bedeutet uns viel."

Erdbebenregion Nepal
Die Folgen des Erdbebens von 2 015 sind in dem einstigen Königreich am Himalaya auch heute noch deutlich zu spüren. Das erste und stärkste Beben ereignete sich am Mittag des 25. April mit einer Stärke von 7,8. Es folgten weitere schwere Beben mit jeweils zahlreichen Nachbeben. Angaben von Hilfsorganisationen zufolge kamen knapp 9000 Menschen ums Leben, mehr als 600 000 Häuser wurden zerstört. Die erheblichen Sachschäden beeinträchtigen auch acht Jahre nach der Naturkatastrophe noch immer die Infrastruktur. Vor allem in ländlichen G ebi eten sind S chulen und G esun dheitse inrichtungen noch nicht wiederaufgebaut, viele Straßen bleiben unpassierbar. Lockdown-Maßnahmen während der Corona-Pandemie verzögerten in abgelegenen Dörfern zusätzlich den schleppenden Wiederaufbau. Auch im  Zentrum der Hauptstadt Kathman du sind längst nicht alle historischen Bauwerke erneuert, noch immer stützen Holzbalken einsturzgefährdete Tempel. Das Risiko für weitere Erdbeben bleibt in Nepal hoch:  Das knapp 30 Millionen Einwohner zählende Land liegt „in einer seismisch aktiven Zone, vor allem das Himalaya- Gebiet gilt als stark erdbebengefährdet“, wie das Auswärtige Amt in seinen  Länderinformationen schreibt. Nepal befindet sich auf der Grenze zweier Kontinentalplatten: Seit Million en von Jahren bewegen sich dort die indo-australische und die eurasische Platte aufeinander zu und  schieben sich auf, was zur Entstehung des größten Gebirges der Welt – dem Himalaya - führte. Durch die Bewegungen der bei den Platten entstehen enorme Spannungen, die sich schlagartig in einem  Erdbeben entladen können. 

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