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20. Juni 2022
Reportage:   Barbara Brustlein   Fotos: Jörg Böthling
Reportage aus Kenia

Doppelte Mission: Wie der Bischof von Eldoret Frieden stiften will

Die kenianische Stadt Eldoret war bei den Präsidentschaftswahlen der Vorjahre ein Hotspot der Gewalt. Vor dem Urnengang im August steigt nun die Nervosität. Auch beim neu ernannten Bischof von Eldoret, dessen Friedensmission gleich eine zweifache ist.
20. Juni 2022
Text: Barbara Brustlein   Fotos: Jörg Böthling

Reportage Kenia Bischof DominicBischof Dominic KimengichDominic Kimengich ist ein Mann von großem Ernst. Einer, dessen Autorität Menschen dazu bringen kann, umzudenken. Die Waffen niederzulegen. Das sagen die, die ihn aus seiner Zeit als Bischof von Lodwar kennen. Als Bischof einer Region also, in der die Kirche nahezu die Rolle der Regierung übernommen hatte. Einer Region, in der Konflikte um Land und Tiere mit Waffen gelöst wurden. Und nun sitzt er hier, im Dorf Chesongoch, im Kerio-Tal. Mit versteinertem Gesicht. Um ihn herum sind Lokalpolitiker versammelt. „Ich bin entsetzt über das, was hier passiert“, sagt er. Im Kapsowar Mission Hospital wurden vor zwei Wochen 15 Schüler und zwei Lehrer mit zerschossenen Armen und Beinen eingeliefert - nach einem Überfall auf einen Schulbus. Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres wurden hier im Tal 80 Tote gezählt. Auf beiden Seiten der zwei zerstrittenen Volksgruppen, der Pokot und der Marakwet. „Ich sehe kein Ende der Gewalt“, sagt Bischof Dominic. „Ganz im Gegenteil.“

Es ist der 28. Februar. Vier Tage zuvor hat Russland die Ukraine angegriffen. Der Krieg liegt in der Luft, auch hier in Ostafrika. Er strömt aus allen Kanälen. Aus dem Radio auf der Autofahrt über die von Schlaglöchern durchzogenen Straßen ins entlegene Kerio-Tal dringen Wörter wie atomare Bedrohung und Waffenlieferungen. Hier im Kerio-Tal rollen keine Panzer. Aber Munition ist reichlich vorhanden für die mit AK-47, den so genannten Kalashnikows, ausgestatteten 13- bis 20-Jährigen, die hier Blutbäder anrichten. „Alle könnten hier ein gutes Leben haben“, sagt Bischof Dominic. Das Tal ist fruchtbar, dank des Kerio-Flusses.

Reportage Kenia Kerio TalIm Kerio-Tal bekriegen sich zwei Volksgruppen.Der Bischof ist gekommen, um eine Messe für den Frieden zu feiern. Mit beiden Seiten, Pokot und Marakwet. Aber die Pokot sind nicht gekommen. Nur die eine Gruppe, nämlich die Marakwet, sitzen in eigentümlicher Gelassenheit beisammen. Vor drei Tagen haben sie den Pokot 300 Rinder gestohlen. Nun warten sie auf den Gegenschlag. Wann der Rachefeldzug von der anderen Seite des Flusses kommt, wissen sie nicht. Aber dass er kommt, ist sicher.

„Es wird nach Beinen gerechnet“, erklärt Koskei. Der Katechist lebt hier in Chesongoch. „Für eine gestohlene Kuh beträgt die Vergeltung vier Kühe, für jeden erschossenen Menschen werden zwei erschossen.“ Eine Spirale der Gewalt, die Frieden unmöglich macht. Seit Mitte der 70er Jahre ist das hier so. Fünf Jahre lang, bis 2014, war es gelungen, das Töten und den Viehdiebstahl zu überwinden. Dann ging es wieder los. „Es ist ein Geschäft“, sagt Dorfchef Clement. „Die gestohlenen Rinder gehen direkt ans Schlachthaus in Nairobi. Die Trucks, die sie befördern, stellt jemand bereit.“ Wer das ist, kann oder will er nicht sagen.

Auch Xara fehlen die Worte. Die junge Frau zeigt das Grab ihres Mannes Donald. Sie hat ihn im Garten vor ihrem kleinen Haus begraben. Das Häuschen liegt auf einem Hügel und gibt den Blick auf das Tal frei. Dorthin also, wo ihr Mann Donald im Januar erschossen wurde, als er die Rinder weidete. Weniger als 500 Meter von der Straße entfernt sei es geschehen, hat man ihr erzählt. „Keiner von uns kann sich seines Lebens sicher sein“, sagt der Dorfchef. Und trotzdem haben die Marakwet wieder gestohlen. Warum? Schweigen. Und wie soll es weitergehen?

Spirale der Gewalt

Reportage Kenia Eldoret RinderRinder sind der Reichtum von Marakwet und Pokot.Über die Pokot können die Marakwet viele Geschichten erzählen: Dass sie so klein und schmal seien, dass sie sich an die Bäuche der Kühe hängen und so die Tiere stehlen könnten, ohne dass sie von den Hubschraubern der kenianischen Armee gesehen würden. Schon ihre Entstehungsgeschichte legitimiere die Pokot zum Diebstahl: Als sie beim Anbeginn der Welt vom Himmel auf die Erde herabgestiegen seien, hätten sie alle Kühe der Welt besessen. So die Legende. Sie holen sich also nur zurück, was ihnen zusteht.

Ob diese Geschichten stimmen, lässt sich zumindest heute bei keinem Pokot erfragen. Der Fluss trennt die Gruppen. Die Stille ist nur die Stille vor dem Sturm. Und so schön die Geschichten auch klingen mögen – die Realität ist blutig. In der Messe später wird Bischof Dominic eine lange Predigt halten über die Notwendigkeit, die Spirale von Gewalt und Rache zu durchbrechen. Ob die Botschaft ankommen wird? „Wir planen etwas Größeres“, sagt der Bischof. Er möchte alle drei Bischöfe, in deren Diözesen die verfeindeten Gruppen leben, zusammenbringen. „Nur so kann es gelingen.“ Die Kirche ist nicht die erste Institution, die sich am Frieden versucht: Im vergangenen Jahr hatten die Stammesältesten aller Volksgruppen einen kastrierten Stier geschlachtet, die Innereien verteilt, Waffen zusammen gebracht und sie verflucht. Feierlich wurde gelobt, von nun an den Frieden zu wahren.

Reportage Kenia GrabGrab vor dem Haus: Donald wurde im Januar erschossen.Aber das Grab von Donald zeigt, dass sich nichts geändert hat. Es ist nur eines von vielen. An bessere Zeiten erinnert sich noch Wilson Kibot Cibet, Donalds Vater. Er ist fast 70 Jahre alt. „Als ich jung war, konnten wir zusammenleben. Die Pokot fragten uns nach Weideland. Es wurde eine Kuh geschlachtet. Wir haben zusammen gegessen. Aber mit der Bewaffnung hat sich alles geändert.“ „Ganz Kenia fragt sich: Was ist denn hier los?“, sagt Fr. James Kimani. Der enge Mitarbeiter von Bischof Dominic Kimengich war als junger Priester im Kerio-Tal im Einsatz. „Ich bin damals mehrfach um mein Leben gerannt“, sagt er.

Eigentlich lebt es sich in Kenia in Frieden. Zumindest, wenn keine Präsidentschaftswahlen anstehen. Besonders in den Jahren 2007 und 2017 brachten die Wahlen das Land an den Rand eines Bürgerkrieges: niedergebrannte Häuser, Vertriebene, Tote. Seit Einführung des Mehrparteiensystems 1992 heißt es alle fünf Jahre: hoffen, dass es friedlich bleibt.

Wenn Nachbarn zu Feinden werden

Saweria Njeri Ngugi hat am eigenen Leib den Irrsinn des Aufruhrs rund um die Wahlen erlebt. „Wir leben hier zusammen als Freunde, als Nachbarn. Aber wenn die Wahlen anstehen, werden Nachbarn zu Feinden“, sagt sie. Bei den ersten Unruhen 1992 war die 38-Jährige selbst noch ein Kind. „Wir sind Kikuyu und wurden aus unseren Häusern gejagt.“ Bei den gewalttätigen Ausschreitungen 2007/2008 verlor sie wieder alles. Und nun, da im August wieder Präsidentschaftswahlen anstehen? „Wir sind angespannt. Ich sehe, dass einige Nachbarn ihre Kühe verkaufen und den Mais ernten. Das heißt, dass sie planen wegzugehen.“

Reportage Kenia Fr.JamesFather James Kimani„Am liebsten würden die Leute vergessen, was geschehen ist. Aber das geht nicht, weil das, was passiert ist, nicht aufgearbeitet wurde“, sagt Fr. James Kimani. Der Priester hat in der eigenen Familie miterlebt, was es bedeutet, wenn aus Nachbarn plötzlich Feinde werden. „Ganz Eldoret war 2007/2008 betroffen. Unsere Stadt war der Hotspot der Ausschreitungen“, sagt er. Er war in dem Jahr in Kanada. Aber seine Mutter war in Eldoret. Das Haus, in dem sie heute noch lebt, blieb verschont. „Als einziges. Die Nachbarhäuser wurden in Schutt und Asche gelegt,” erinnert sich die alte Dame. „Eine Freundin rief mich damals an. Renn weg, sagte sie, es bleibt nicht viel Zeit.“ Margaret Muthoni Njologe flüchtete sich damals in die Kathedrale – gemeinsam mit unzähligen anderen. Ihr Haus blieb stehen. Damit erging es ihr besser als den meisten anderen. „Die Wurzel des Übels ist der Tribalismus, das Stammesdenken“, sagt sie. Das Grundproblem sei die Fixierung auf den Besitz von Land, sagt hingegen ihr Sohn. „Wenn du in Kenia kein Land hast, bist du ein Niemand“, sagt Fr. James Kimani. Für Land wird bestochen, betrogen, getötet.

All die Fragen stehen im August wieder im Raum. Bischof Kimengich ist angetreten, Frieden zu bringen. Er wird in den Kirchen, im Radio, bei Gemeindeversammlungen, in der Politik dafür werben, dass 2022 ein gutes Wahljahr wird. Und gut bedeutet friedlich. 

PRÄSIDENTEN, ETHNIEN UND EIN BISCHOF

Reportage Kenia FriedenEs war ein Schritt, mit dem keiner gerechnet hatte: Bereits 2018 kündigte Kenias amtierender Präsident Uhuru Kenyatta an, seinen ewigen Widersacher, den Oppositionschef Raila Odinga, als Kandidat in der Präsidentschaftswahl 2022 zu unterstützen. Die Verblüffung war groß, denn der Machtkampf zwischen Kenyatta und Odinga hatte das Land mehrfach in gewaltsame Unruhen gestürzt. Dem Präsidenten gewogene Stimmen sagen, der Schachzug solle Gewalt vermeiden, wenn das Land nun im August 2022 einen neuen Präsidenten wählt. Von Kritikern Kenyattas hört man hingegen, dass der Staatschef auch im Ruhestand nicht mit Korruptionsvorwürfen behelligt werden möchte und daher geschickt ein gutes Verhältnis zu seinem Nachfolger einsteuert. Als Gegenkandidat tritt William Ruto an, der derzeitige Vizepräsident des Landes. Beide, Präsident und Vize, waren wegen Anstiftung zur Gewalt vor den internationalen Strafgerichtshof gekommen. Die Anklagen wurden aber wieder fallen gelassen, weil die wichtgsten Zeugen ihre Aussagen widerrufen hatten.

Kenia hat mehr als 40 Ethnien. Unter Jomo Kenyatta, dem ersten Präsidenten Kenias, wurden die Kikuyu im Rift Valley angesiedelt, das die Ethnie der Kalenjin als ihr Gebiet sah. Sein Nachfolger, der 2020 verstorbene Daniel arap Moi, war hingegen Kalenjin und verschaffte seiner Volksgruppe diverse Privilegien. Der internationale Flughafen von Eldoret und die gut ausgebauten Straßen in der Region zählen dazu. Ethnische Konflikte zwischen den Gruppen sind seither eine Realität. Der Ende 2019 von Papst Franziskus zum Bischof von Eldoret ernannte Dominic Kimengich will in dieser Situation zum Frieden aufrufen. missio München unterstützt ihn dabei, sich im Vorfeld der Wahlen über die Medien und mithilfe engagierter Multiplikatoren Gehör zu verschaffen.

 

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