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"Jeder zweite Atemzug kommt aus dem Meer"


29. Juni 2023
Die Inselwelt des Pazifik steht vor großen Veränderungen. Klimawandel und globaler Rohstoffhunger sorgen für den Ausverkauf einer Region und für soziale Spannungen. Jan Pingel, politische Stimme des Netzwerks Ozeanien-Dialog, erklärt, warum Umsiedlungen spirituell heikel sind, was es mit der neuen deutschen Pazifik-Politik auf sich hat und wieso Tiefseebergbau gestoppt werden muss. 
© privat

Herr Pingel, laut google maps trennen uns 16 000 Kilometer vom Pazifik. 

Die Trennung ist künstlich: Es gibt nur ein Meer. Ich selbst wohne am Deich. Ich muss nur ein paar Meter gehen, dann bin ich über die Nordsee mit dem  Pazifik verbunden. 

Wie also geht es dem einen Meer?

Es ist multiplen Krisen ausgesetzt: Übersäuerung, Versalzung, Überfischung, Erschließung von Öl und Gas – all das setzt dem Meer extrem zu. Das merkt man im Pazifik besonders, da es kaum eine Region auf der Welt gibt, in der die Menschen so sehr von einem gesunden Ökosystem Meer abhängen. 90 Prozent der Bevölkerung wohnen weniger als fünf Kilometer von der Küste entfernt.

Wir sprechen immerhin von knapp zehn Millionen Menschen, die an den Küsten und auf den Inseln Ozeaniens leben. Wie geht es ihnen?

Der Druck auf die Küstengemeinschaften ist groß. „Blue Growth“ ist die neue Gefahr: Wachstum nicht mehr nur auf dem Land, sondern bitte auch im Meer. Das bedeutet Rohstoffhunger, mehr Fischfang und Aquakulturen, mehr Tourismus. All das wirkt sich auf die sowieso schon angespannte Situation der Menschen dort aus.

Nehmen wir die Überfischung. Wie schlimm ist sie?

Die Ausmaße sind riesig. Hauptsächlich wegen externer Flotten, die illegal fischen. Wenn wir uns den kleinen Inselstaat Nauru anschauen: Das Gebiet ist für solche Schiffe eine gigantische exklusive Wirtschaftszone. Nauru hat keine Möglichkeit, die Fläche zu überwachen: Der Staat besitzt nur ein offizielles Küstenboot. Die Kleinfischerei wird also immer schwieriger – aber sie ist die Seele der pazifischen Identität und der Garant fürs Überleben. Sie muss geschützt werden.

Tut sich da etwas?

Zu wenig. Es gibt nationale Bemühungen, aber international spielen entwicklungspolitische Felder wie Ernährungssicherheit oder Klimaschutz immer noch eine viel zu geringe Rolle. Aber die Menschen im Pazifik sind abhängig von natürlichen Ressourcen.

Eine weitere Gefahr birgt der Tiefseebergbau, der bald zugelassen werden könnte. Manganknollen auf dem Meeresboden enthalten gefragte Metalle, beispielsweise für die Elektromobilität.

Durch das Umpflügen des Meeresbodens entstehen giftige Sedimentwolken. Lokale Jobs fallen sowieso kaum ab. Oft wird das Argument bemüht, Tiefseebergbau sei besser als Bergbau an Land. Ein Wirtschaftsvertreter sagte einmal zu mir: ,Wir müssen uns entscheiden: Kinderarbeit im Kongo oder wir verlieren ein paar Seegurken.‘ Auf diesem Level wird diskutiert. Aber es wäre ein gewaltiger Eingriff in das vielleicht wichtigste Ökosystem, das wir haben. Die Meere sind neben dem Regenwald der größte Sauerstoffproduzent. Jeder zweite Atemzug, den wir tun, kommt aus dem Meer. Wir dürfen den Raubbau nicht ins Meer verlagern. Wegen Tiefseebergbau wird keine einzige illegale Mine im Kongo geschlossen. Wir müssen das stoppen. 

Angeblich sind schon Millionen Quadratmeter Schürfrecht vergeben. 

Auch Deutschland hat zwei Lizenzen. Eine im Pazifik. Aber auch nationale Gewässer stehen im Fokus. Der Inselstaat Nauru möchte als Sponsor einer großen Förderfirma einsteigen. Fidschi und Vanuatu haben sich dagegen  ausgesprochen. Deutschland auch.

Obwohl Deutschland selbst eine Lizenz hat?

Eine bloße Lizenz muss erstmal nicht problematisch sein. Deutschland will im Bereich der Marinetechnologie forschen. Und es ist ja auch wichtig, zur Tiefsee zu forschen, über die wir weniger wissen als über den Mond.

Wir wissen sicher, dass der Klimawandel im Gange ist. Wie ist das im Pazifik?

Man sieht das an vielen Orten. Auf Vanuatu gibt es viele Sturmschäden. Taifune treffen die Inseln inzwischen mehrmals im Jahr und auch stärker. Der Taifun Winston, der 2016 wütete, hat Spuren bis heute hinterlassen. Brücken sind unpassierbar. Das Land hat nicht die Mittel, die Schäden zu reparieren. Dass der Meeresspiegel ansteigt, fällt einem als Besucher auf den ersten Blick natürlich weniger auf als den Menschen vor Ort.

Zum Beispiel in Kiribati, dessen Regierung sich schon Land in Fidschi gesichert hat.

Das stimmt. Aber Umsiedlung ist ein hochsensibles Thema. Das hat nicht nur mit Logistik zu tun, sondern mit Spiritualität: Pazifische Identität hängt an dem Land, auf dem man geboren wurde. Vielerorts gibt es den Brauch, nach der Geburt die Nabelschnur unter einem Baum zu begraben. In Fidschi wurden erste Dörfer von der Küste ins Landesinnere umgezogen. Man hört tragische Geschichten von Fischern, die ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden.

Aber Umsiedlung ist laut Prognosen alternativlos.

Und trotzdem noch vage. Es müssen sich nicht nur die Pazifikstaaten untereinander koordinieren, wo Menschen Zuflucht finden können, sondern auch die internationale Staatengemeinschaft. Bislang gibt es keinen rechtlichen Rahmen für Klimaflucht. Den brauchen wir. Aber Umsiedlung ist noch nicht das größte Thema.

Sondern welches?

Der Kampf für Klimagerechtigkeit. Das bedeutet Geld für Anpassung, um zum Beispiel Deiche zu bauen oder Böden vor Erosion zu schützen. Aber auch Entschädigungen werden diskutiert. Unter Angela Merkel wurde versprochen, dass allein Deutschland bis 2025 sechs Milliarden Euro pro Jahr für die Klimafinanzierung bereitstellt. Beim Petersberger Klimadialog Anfang Mai wurden zwei Milliarden zugesagt. Das ist zu wenig für eine große Industrienation. Deutschland muss mehr tun.

Was trägt die Kirche in Ozeanien bei? Die dortige Bischofskonferenz hat kürzlich eine Erklärung zum Klimawandel verfasst. Wird so etwas gehört?

Im Pazifik ist eine politische Diskussion ohne Kirche undenkbar. Für den Ozeanien-Dialog ist sie der wichtigste Partner. Ich bin sehr froh um diese Verbindung, weil es keine andere Institution gibt, die so weit ins Land reicht. Sie gibt der lokalen Bevölkerung auf höherer Ebene eine Stimme.

Und was tut sich auf höherer Ebene?

Sehr spannend ist gerade die neue deutsche Ausrichtung im Pazifik. Deutschland hatte sich Ende der 1990er Jahre aus der Region verabschiedet. Damit endete auch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, Stiftungen zogen weg. Geblieben sind die kirchlichen Hilfswerke – aber alle mit deutlich weniger Partnern als noch vor 20 Jahren. Jetzt boomt das Thema Meere. Auf Streamingkanälen läuft eine Meeres-Doku nach der anderen …

… und dann wird auch noch Frank Schätzings „Der Schwarm“ verfilmt.

Genau. Und mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass neben dieser medialen nun auch die politische Aufmerksamkeit steigt. Und tatsächlich: 2023 wird Deutschland wieder eine Botschaft in Fidschi eröffnen. Das ist ein wichtiges Zeichen. Die Region befindet sich zudem in einem geopolitischen Spannungsfeld zwischen China und den USA. Ich gehe davon aus, dass die neue Botschafterin oder der neue Botschafter offen ist für einen Dialog. Ist die Umwelt im Pazifik bedroht, sind Menschenrechte bedroht. 

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