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15. Januar 2024
Interview:   Kristina Balbach
Interview mit Pater Gaby Geagea

Maroniten-Pater: „Wir wollen keine Parallelgesellschaft sein“

„Maroniten? Nie gehört.“ Pater Gaby Geagea, der in Deutschland die Maronitenmission leitet, nimmt’s entspannt, denn er weiß: In Zukunft werden Arabisch sprechende Christen mehr und mehr ihren Platz in Deutschland einnehmen. Dass die Maroniten hier kein eigenes Kirchengebäude haben, findet er nicht schade, im Gegenteil: Er setzt auf eine Gemeinschaft, die den Dialog lebt.
15. Januar 2024
Text: Kristina Balbach   privat

Pater Gaby, wie oft hören Sie das in Ihrem Alltag: Maroniten? Nie gehört.

Tatsächlich sehr oft. Auch erklärt ist es für viele nicht leicht zu verstehen. Ich sage dann verkürzt: Maroniten sind Katholiken mit eigenem Kirchenrecht und eigener Liturgie. Oder noch einfacher: Maroniten sind Arabisch sprechende Katholiken.

Wie kam es zu einer Maronitenmission in Deutschland?

2008 nahmen erste Ideen für pastorale Angebote für Maroniten in Deutschland Gestalt an, denn schon mit der ersten großen Ausreisewelle aus dem Libanon während des Bürgerkriegs ab 1975 waren mehr und mehr Libanesen angekommen. Maronitische Priester studierten in Deutschland und Österreich und hatten bereits Gottesdienstgemeinschaften gegründet. Der Bedarf war da. Da kam der Patriarch auf uns Ordensleute zu. Ich war zu dem Zeitpunkt in Wien. Ich war sofort bereit! Ich wollte schon immer nach Deutschland und Immanuel Kant auf Deutsch lesen. Einen Tag vor Heiligabend 2010 landete ich in Frankfurt, in der katholischen Kirchengemeinde St. Wendel.

Auf Ihrer Website steht, dass Sie das maronitische Erbe in Deutschland pflegen wollen. Aber es gibt hier doch keine maronitische Vergangenheit …

Ich definiere das eher vom Heute aus. Wenn wir weiterhin mindestens einmal im Monat an bis zu sechs Orten in Deutschland die Messe nach unserem Ritus feiern, wächst eine Generation heran, die eines Tages in der Lage sein wird, diese auch auf Deutsch zu feiern. Das wäre dann etwas, das wir begründet hätten. Und das sich lohnt, bewahrt zu werden.

Christen, die in ihrer Ursprungsregion im Nahen Osten als Minderheit immer stärker in Bedrängnis geraten, schlagen hier also neue Wurzeln.

Ja, und ich bekomme so viele positive Rückmeldungen! Besonders was die aramäische Tonalität angeht, die wir mitbringen. Das schätzen die deutschen Gläubigen. Sie sagen mir: „Gaby, ihr seid nah dran!“ Die maronitische Liturgie trägt viel ursprüngliche Jesuskultur in sich.

Es gibt deutsche Katholiken, die die maronitische Messe besuchen?

Die meisten haben eine maronitische Partnerin oder einen Partner. Aber es kommen auch Menschen aus St. Wendel, die mich gut kennen und meine Arbeit schätzen.

Eine weitere Aufgabe beschreibt, dass Sie den Dialog fördern möchten.

Man muss wissen, dass unter den Arabisch sprechenden Christen, die nach Deutschland kommen, viele Orthodoxe sind. Auch sie kommen zu uns in die Messe. Darüber hinaus treffen hier unterschiedliche Nationalitäten aufeinander: Libanesen, Syrer, Iraker, Palästinenser, Jordanier und Ägypter. Es ist also nicht nur interreligiöser Dialog gefragt, denn oft schwingen politische Themen mit. Jemand, der als Christ in Syrien aufgewachsen ist, tickt anders als einer aus dem Libanon, der es gewohnt ist, frei zu reden und auch mal Kritik zu äußern. Wir setzen auf gelebten Dialog: Alle drei Monate biete ich eine Messe an, in der ich von Christen im Nahen Osten erzähle. Auch unser Patronatsfest ist ein interreligiöses Event. Auf diese Weise bekommen die Menschen eine Ahnung davon, wer Arabisch sprechende Christen sind.

Spannend, denn all diese Menschen wären in ihrer Heimat doch in ihrer eigenen Blase. Hier treffen sie aufeinander und bilden zwangsweise eine Gemeinschaft.

Ja, das ist in der Tat spannend. Ich bin froh, dass wir damals kein maronitisches Bistum gegründet haben, sondern in St. Wendel angedockt haben. Wir wollen uns integrieren und keine Parallelgesellschaft sein. Allerdings – bis zu einem gewissen Punkt sind wir das noch, denn die erste Generation definiert sich natürlich noch stark über die Muttersprache.

Wünschen Sie sich nicht manchmal eine eigene maronitische Kirche?

Nein, überhaupt nicht. Es ist „Mission mit leichtem Gepäck“, wenn Sie so wollen. Ohne das Bistum Limburg wäre für die Maroniten in Deutschland nichts möglich gewesen. Es ist mein Zuhause, ideologisch und kirchlich. Und ich habe tolle Ansprechpartner in den Erzdiözesen München, Berlin, Köln und Hamburg – dort überall sind wir tätig mit Referenten vor Ort. Da spüren wir eine große Solidarität.

Tauschen Sie sich auch mit Muslimen aus?

Regelmäßig. Wir werden zu Veranstaltungen eingeladen. Einmal kamen in Frankfurt knapp 1000 Muslime zu Ehren von Scheich Musa as-Sadr zusammen, der sich in den 1960er Jahren im Libanon um den interreligiösen Dialog verdient gemacht hatte. Da trat ich im Habit und mit meiner Stola auf und redete. Ich nehme auch am schiitischen Gedenktag Ashura teil. Gerade planen wir zusammen mit der katholische Kirche Frankfurt einen Abend zum Fastenbrechen während des Ramadan. Das könnte ein gutes Projekt werden.

Wie haben Sie das Jahr 2015 erlebt, als viele Geflüchtete aus dem Nahen Osten hier ankamen?

Ich war völlig überfordert. 2016 hatte ich tatsächlich ein Burn-out. Ich musste lernen, dass ich nicht die Welt retten kann.

Waren Sie auch in den Geflüchteten-Camps?

Ja. Aber ich bin, ehrlich gesagt, nicht so oft hingegangen wie ich wollte. Aber ich habe sehr viele Geflüchtete in unserer Gemeinde empfangen, und das tue ich auch heute noch. Leider setzen diese Familien oft falsche Hoffnungen in uns. Sie hoffen auf Papiere und darauf, dass wir offizielle Entscheidungen beeinflussen können. Arabisch sprechende Christen kommen da mit ganz anderen Erwartungen auf uns zu, denn manche Kirchen vor Ort haben politisches Gewicht. In Deutschland ist das anders. Aber wir helfen bei Behördengängen und übersetzen. Was ich tun kann, ist, den Menschen eine geistliche Heimat anzubieten.

Dennoch tauscht sich die Politik seither mehr mit den Glaubensgemeinschaften aus.

Das stimmt. Ich habe schon ein Morgengebet vor den Abgeordneten des Hessischen Landtags gehalten und war anschließend zu Gesprächen eingeladen. Auch die Situation der Christen im Nahen Osten erfährt inzwischen mehr Aufmerksamkeit.

Gerade haben Sie zehn Jahre Maronitenmission gefeiert. Wie geht’s weiter?

Uns sind die Jugendlichen sehr wichtig. Wir unternehmen Fahrten, und einmal im Jahr gibt es ein großes Event. Da kommen junge Leute aus dem Libanon oder aus Syrien zusammen, die meist schon viele Jahre hier leben. Es ist faszinierend zu sehen, wie diese Generation beide Kulturen in sich trägt. Es sind deutsche Maroniten, deutsche Christen mit arabischem Hintergrund. Sie sind für mich eine große Hoffnung. Und ich hoffe, dass die Maronitenmission eine Zukunft in Deutschland hat. Sie ist eine Bereicherung!

Maroniten-Pater Gaby Geagea PATER GABY GEAGEA (45)

gehört der Kongregation der libanesisch-maronitischen Missionare an. Geboren in Bsharri im nördlichen Libanongebirge (wie der berühmteste libanesische Schriftsteller Khalil Gibran), studierte er Theologie und Philosophie im Libanon, in Südafrika und Österreich. 

Übrigens: Die größten maronitischen Gemeinden in Deutschland sind in Frankfurt/Main und Berlin. Die am stärksten wachsende Gemeinde ist in München/St. Ludwig. Besonders die libanesische Mittelschicht findet nach ihrer Abwanderung aufgrund der Wirtschaftskrise gute Jobs bei den großen Automobilherstellern in Bayern.

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