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Interviews

„Ich glaube an Auferstehung“

Ihr aktuelles Buch erschien erstmals vor 25 Jahren. Ist es nicht traurig, dass sich so wenig gebessert hat?
Vieles ist schlimmer denn je! Der Massenmord des Hungers ist immer noch der Skandal unserer Zeit. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren auf diesem Planeten, der vor Reichtum überquillt. Wenn es ein Recht auf Nahrung gäbe, und ein weltweites Völkerrecht auf Nahrung internationale Regeln schaffen würde, dann könnte die Nahrung gerecht verteilt werden. Die Weltlandwirtschaft könnte heute schon problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren, fast das Doppelte der heutigen Weltbevölkerung. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.

Aktuell ist der Hunger auch als Kriegswaffe zurück.
Wenn Sie sehen, was in Gaza passiert: Da leben 2,8 Millionen Menschen auf 365 Quadratkilometern. Gaza ist wahrscheinlich die am dichtesten bevölkerte Region der Welt. Am 7. Oktober 2023 haben die islamistischen Kämpfer der Hamas Israel angegriffen, sie haben Menschen ermordet, Geiseln genommen. Fürchterliche Verbrechen, die total unentschuldbar sind. Ich muss aber von dem fürchterlichen Rachefeldzug reden, der als Antwort erfolgt ist.

Mit welchen Folgen?
Eine der wichtigsten Waffen dabei ist die Blockade. Eine Blockade für Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente und Treibstoff. Die Nahrungsmittelzufuhr in Gaza ist total unterbrochen, außer von einigen wenigen Lastwagen, die so gut wie nichts ausrichten können. Menschen sterben am Hunger. Was noch schlimmer ist: Die Hungerblockade bringt die Zerstörung einer ganzen Generation von Kindern, die schwerst unterernährt aufwachsen. Das ist eine fürchterliche Waffe. 

Welchen Ausweg sehen Sie?
Es braucht sofort einen permanenten Waffenstillstand. Dazu Verhandlungen zur Freilassung der israelischen Geiseln. Und Schaffung eines Dialoges, um dann die Nahrungsmittelzufuhr in Gaza wiederherzustellen. Die öffentliche Meinung der Welt muss das verlangen! Georges Bernanos hat gesagt: Gott hat keine anderen Hände als die unseren.

Wir tun uns schwer damit, weil wir aufgrund unserer Geschichte eine besondere Verantwortung für Israel haben.
Antisemitismus ist ein Verbrechen! Wer die Shoa negiert und antisemitisch sich äußert oder verhält, begeht ein strafrechtlich verfolgbares Delikt. Das hat aber nichts zu tun mit dem Protest gegen den Völkermord in Gaza. Dass dort solche fürchterlichen Verbrechen Tag und Nacht geschehen und kein Ende in Sicht ist. Und die Hungersnot wütet fürchterlich. Das hat übrigens auch nichts zu tun mit der jüdischen Religion. Die jüdische Religion ist eine Religion der Gerechtigkeit und der Menschenliebe, wie auch die christliche. 

Ich wollte Sie eigentlich nach Ihrem runden Geburtstag fragen.
Darüber möchte ich ja eigentlich nicht reden ... 

Wie schauen Sie auf den Neunzigsten?
In großer Dankbarkeit. Aber auch mit etwas Angst vor dem Tod. Aber ich glaube an die Auferstehung. Es gibt so viel Liebe auf der Welt. Der Guerillero, der sein Leben opfert für die Gerechtigkeit. Die Liebe, die man empfindet zu einem Kind, oder für eine Frau. Diese unendliche Liebe, die kommt ja von irgendwoher. Ich muss an Dietrich Bonhoeffer denken, der im Konzentrationslager inhaftiert war, weil er Gerechtigkeit für die Juden gefordert hat. Bonhoeffer hat am Vorabend seiner Hinrichtung ein Schriftstück hinterlassen. Da steht: „Morgen werde ich sterben. Aber ich weiß, ich bin erwartet.“ Und das glaube ich auch. Ich bin erwartet. Von meinen Eltern. Von meinen Freunden. Ich löse mich nicht in nichts auf. Ich verschwinde nicht aus der Geschichte.

Alles Gute für Sie, lieber Herr Ziegler!
Ich danke Ihnen für die jahrelange freundschaftliche Solidarität. Gott sei Dank gibt es missio!

Staatsminister Beißwenger: "Ich bin der bayerische Außenminister"

Herr Minister, vor genau fünf Jahren eröffnete Ministerpräsident Markus Söder das bayerische Büro in Addis Abeba.

Das war und ist zunächst mal ein ganz starkes Signal, dass wir unsere bayerischafrikanische Zusammenarbeit auch tatsächlich auf Dauer anlegen wollen. Addis Abeba  wurde nicht nur als Standort gewählt, um sich der Vernetzung mit Äthiopien zu widmen, sondern um sich der Vernetzung mit ganz Afrika zu widmen, weil dort auch der Sitz der Afrikanischen Union ist. Von daher, glaube ich, ist das ein wichtiger Aspekt in der Zusammen arbeit mit Afrika, um auch die Wirtschaft und den Handel zu stärken und zu fördern.

Äthiopien schien besonders geeignet: Es gab einen Friedensschluss mit dem Nachbarn Eritrea, der Präsident bekam den Nobelpreis. Inzwischen hat sich die Krise wieder verschärft.

Da sind wir schnell bei der Frage nach den Regimen, mit denen wir arbeiten, und bei denen wir natürlich mit manchen Machthabern nicht unbedingt in zu große Nähe gerückt werden wollen. Aber wenn ich es richtig gelesen habe, leben 45,3 Prozent der Weltbevölkerung in Demokratien. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn wir nur mit vollständigen Demokratien in Austausch treten würden, wie auch immer der aussieht, würden wir 55 Prozent der Weltbevölkerung ausschließen. Mir geht es da um die Menschen vor Ort. Wenn wir uns nicht um die Menschen kümmern, machen sich die Menschen auf den Weg zu uns. Das heißt, unsere Hilfe vor Ort halte ich für dringend notwendig. Und früher gab es in der alten Bundesrepublik den Spruch vom „Wandel durch Handel“. Wir sind weltweit tätig und versuchen durch den Wohlstand  auch die Demokratiebewegungen überall zu fördern.

Hat sich dabei die Sicht auf Deutschland gewandelt, oder werden wir noch als kompetenter Partner gesehen?

Ich habe schon den Eindruck, dass Deutschland nicht mehr überall der Ansprechpartner Nummer eins ist. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir immer eine sehr belehrende Entwicklungshilfe machen. Mir ist in Erinnerung, was Chinesen mir geantwortet haben, als ich gesagt habe: „Ihr baut ja nur die Straße, um eure Rohstoffe abbauen zu können.“ Sagen die: „Richtig. Aber die Schulen, die ihr gebaut habt, zu denen kommen die Schüler auch erst, wenn unsere Straßen fertig sind. Vorher nicht.“ Also, wenn wir wirklich den Menschen helfen wollen, müssen wir weg von dieser ideologischen Außenpolitik und von dieser ideologischen Entwicklungshilfe. Und da  befürchte ich schon, dass wir den Anschluss als Bundesrepublik Deutschland teilweise verloren haben.

Liegt das Ihrer Meinung nach an der Entwicklungspolitik der Bundesregierung? Dort gibt es seit kurzem zum Beispiel das Konzept der ,,feministischen Außenpolitik”.

Das ist uns dann doch zu wenig. Frauenrechte zu stärken, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber das kann ja nicht das alleinige Ziel sein. Deutschland steht im Wettbewerb mit anderen Einflussländern wie Russland und China. Und rein ideologisch aufzutreten in den Ländern ist dann zu wenig. Und nur auf gendersensible und genderkonforme Projekte abzustellen, erscheint uns auch zu bevormundend.

Es ist allerdings auch gerade besonders modern, die Ampelregierung für alles zu kritisieren.

Die Ampel zu kritisieren ist nicht allein modern, sondern auch absolut zielführend. Eine Ampel, bei der alle Farben gleichzeitig aufblenden, führt natürlich zum Unfall. Und dieses Chaos haben wir jetzt. Mich stört vor allem die Ideologie in vielen Bereichen.

Wir von missio schätzen die Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatskanzlei. Warum sind kirchliche Organisationen für Sie ein guter Partner?

Es ist vor allem die Verlässlichkeit über Jahre hinweg. Die Kirchen vor Ort sind über Jahre, und auch über eventuelle Regimewechsel hinaus, verlässliche Ansprechpartner für uns, für die Hilfe zur  Selbsthilfe. Ihnen geht es nicht darum, eine Regierung zu stützen, sondern sie sind als Partner vor Ort, verlässlich, zuverlässig, beständig. Und ganz wichtig: Sie haben Zugang zur Bevölkerung, den wir ja häufig so nicht haben.

Stimmt, eine Kirche findet man meist im kleinsten Dorf in Afrika.

Wir reden zwar immer vom vorherrschenden Islamismus auf der Welt, aber das ist ja gar nicht so. Das Christentum wächst gerade in den Ländern Afrikas sehr stark. Und die Kirchen helfen auch nicht nur den Christen, sondern allen Menschen. 

Ihre Vorgängerin Melanie Huml hat im Interview gesagt: „Ich bin die Eine Welt-Ministerin.” Markus Söder hat gesagt, er sei der bayerische Außenminister. Haben Sie schon einen Titel, den Sie sich selber verleihen würden?

Ich würde auch sagen, dass ich eher der bayerische Außenminister bin. Bayern wäre, wenn wir selbstständig wären, auf Platz sechs der Volkswirtschaften in Europa. Auch wenn bei uns natürlich die Bundesrepublik Deutschland von offizieller Seite die Außenpolitik macht - wir sind als Volkswirtschaft stärker als Länder wie Portugal,  Griechenland und Tschechien zusammen. Deshalb haben wir da einen gewissen Anspruch.

Relativ überraschend ist im neuen Koalitionsvertrag zwar kurz, aber ausdrücklich benannt, dass die bayerische Zusammenarbeit mit Kenia ausgebaut werden soll.

Also ich glaube, dass auch Kenia ein zentrales Land ist und ein ganz wichtiger Partner. Deshalb wird es als neues Fokusland der Zusammenarbeit aufgenommen. Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen auf den bayerischen Kernkompetenzen wie wirtschaftliche Beziehungen, berufliche Bildung, schulische Bildung, Wissenschaft, Landwirtschaft und Umwelt. Auch auf der öffentlichen Verwaltung. Und ich glaube, dass wir da genug Möglichkeiten haben, entsprechende Projekte voranzubringen.

Hatten Sie selber schon Gelegenheit, Afrika zu bereisen, oder steht es demnächst an?

Es steht an. Aber „demnächst“ ist so eine Frage. Weil am 9. Juni ist Europawahl. Bis dorthin werde ich versuchen müssen, so viel wie möglich im europäischen Kontext unterwegs zu sein.

Haben Sie eine Wunschvorstellung für die kommenden vier, fünf Jahre als Minister? Wenn Sie zum Beispiel in Kenia empfangen werden, wie würden Sie da gerne gesehen werden?

Ich möchte gern, dass Bayern sein absolut positives Ansehen behält, dieses Ansehen als ehrlicher Makler und als tolles, bewundertes Land. Und dass, wir wegkommen von dem Begriff der „Entwicklungshilfe“ und auf keinen Fall belehrend auftreten, sondern als Partner auf Augenhöhe gesehen werden. Wenn ich das ein Stück weit unterstützen kann, bin ich schon sehr zufrieden. 

Afrikamissionar Lohre über seine Entführung in Mali

Pater Hajo Lohre, ziemlich genau ein Jahr nach Ihrer Entführung kamen Sie frei. Wie geht es Ihnen?

Ich bin dankbar, frei zu sein. Aber ich kann sagen, dass ich während der Zeit von einem tiefen inneren Frieden erfüllt war. Ich wurde Gott sei Dank gut behandelt.

Haben Sie Ihre Entführung geahnt?

Nein, ich hatte keine Ahnung. Aber spätestens seit der Entführung von Schwester Gloria war uns das Risiko bewusst (die kolumbianische Ordensschwester wurde 2017 von Islamisten entführt und im Oktober 2021 freigelassen, Anm.d.Red.). Es ist, wie wenn man in ein Auto steigt und natürlich um das Unfallrisiko weiß. Aber man denkt: nicht heute.

Haben Sie sich nicht gefragt: Warum gerade ich?

Ich wurde entführt, weil ich ein weißer Europäer bin. Und weil ich als Priester und Leiter des „Zentrums für Glaube und Begegnung“ zugänglich bin, was bedeutet, dass jeder auf das Gelände kommen kann. Es gibt keine Mauern und Wächter wie bei den inzwischen nur noch wenigen anderen Europäern.

Wollen Sie uns erzählen, wie Sie entführt wurden?

Ich habe am Christ-Königs-Sonntag am Morgen unser Haus verlassen, um im Stadtteil Kalabankura die Messe zu feiern. Plötzlich kam ein Auto angefahren und hat meinen Wagen blockiert. Drei Männer sprangen heraus. Einer kam mir entgegen und sagte: „Pater, Sie sind festgenommen!“ Ich wurde auf den Rücksitz ihres Autos gezerrt. Dabei muss mein kleines Holzkreuz vom Lederband abgegangen sein. Mir wurden Handschellen angelegt, und ich bekam eine Mütze über den Kopf. Dann ging es ganz schnell aus Bamako raus. Abends fragte ich den Mann, der der Chef der Gruppe zu sein schien: „Wieso ich?“ Er antwortete, aus Rache dafür, dass Deutschland im Krieg gegen Al-Qaìda sei. Er fordere, dass Deutschland alle Soldaten aus Mali abziehe, damit die Scharia eingeführt werden könne.

Sie wurden in die Wüste gebracht. Wie muss man sich die Tage dort vorstellen?

Meine Unterkunft sah so aus: vier Pfosten, darüber eine Plane als Sonnenschutz. Auf dem Boden eine Plastikmatte und eine Decke. Ich stand immer mit der Sonne auf, ging morgens und abends jeweils 30 Minuten lang spazieren. Zum Frühstück gab es Brot und Milch. Anschließend feierte ich Messe, ohne Wein aber mit von den Dschihadisten frisch gebackenem Brot. Jeden Tag dachte ich an die Menschen, deren Namens- und Geburtstage ich im Kopf hatte. Ich betete für meine Freunde, Familie und Mitbrüder. Zweimal am Tag gab es eine warme Mahlzeit: Reis oder Nudeln mit Ziegen- oder Schaffleisch. Mit Sonnenuntergang legte ich mich wieder hin. Alle zwei bis drei Wochen wechselten wir die Gegend.

Wie hat Ihnen Ihr Glaube geholfen?

Ich wusste ja, dass so eine Entführung auch mal sechs Jahre dauern kann. Vielleicht auch nur drei, wenn man Glück hat. Geholfen hat mir, es anzunehmen. Da ich in der Vergangenheit Seminare zu „Selbstkenntnis“ gegeben hatte, war ich in der Lage, dieser Entführung einen Sinn zu geben. Ich dachte an die Geschichte von Josef im Alten Testament, der von seinen Brüdern als Sklave nach Ägypten verkauft wurde und am Ende Verwalter der Kornspeicher wurde. Im Sinne von: „Das Böse, das ihr mir getan habt, Gott hat es in Gutes gewandelt (Gen 50,20). Ich überließ es Gott, den Tag meiner Befreiung zu bestimmen. So konnte ich die Zeit sehr gelassen, aus meinem Glauben heraus, leben. Ich habe zum Beispiel auch den muslimischen Fastenmonat Ramadan für 30-tägige ignatianische Exerzitien genutzt.

Wie kam es dann zu Ihrer Befreiung?

Ich habe keine Ahnung. Ungefähr ein Jahr nach meiner Entführung, kam einer der Dschihadisten zu mir und sagte: „Partir Allemagne!“ Nach Deutschland gehen! Schnell, schnell. Und das war es.

Sie leben und arbeiten seit mehr als 30 Jahren in Mali. Was ist eigentlich der Kern des Konflikts in Mali?

Die Menschen leiden unter der großen Armut und der Korruption. Viele Menschen zieht es in die Stadt, da durch den Klimawandel die Wüste voranschreitet und es weniger Weideland für die Herden und gleichzeitig mehr Konflikte zwischen Hirten und Bauern gibt. Die hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist ein großes Problem. Auch, dass es nur wenig Bildungschancen für junge Menschen gibt.

Wie haben sich die politischen Unruhen im Alltag ausgewirkt?

Wir konnten schon lange nicht mehr überall hinfahren. Mehr als Zweidrittel des Landes wurden früh als „No-go-Area“ eingestuft. Um uns und andere nicht in Gefahr zu bringen, haben wir uns daran gehalten. Ein Beispiel: Ich half oft in einer Pfarrei auf der rechten Flussseite von Bamako aus, da es für mehr als 30 Pfarreien nur vier Priester gibt. Schon Ende 2022 gab es eine Warnung der deutschen Botschaft, dass es zu Attentaten in der Nähe des Flughafens kommen könnte. Genau dort, wo ich Messen feiern sollte. Ich habe dann mit einem afrikanischen Priester der Pfarrei getauscht, da ein Weißer in einem Auto eine Zielscheibe darstellt.

Warum konnten die UN-Missionen im Land nichts bewirken?

Ich denke, es lag an der Formulierung des Auftrags. Das Mandat beinhaltete, das Friedensabkommen zwischen den Tuareg und der malischen Regierung zu überwachen. Aber das Mandat beinhaltete nicht, die islamistischen Gruppierungen zu bekämpfen. Und darum konnten sie Stück für Stück das Land unter ihre Kontrolle bringen. Insgesamt möchte ich aber betonen, dass die Malier sehr gastfreundlich sind und besonders ältere Menschen respektieren. Das habe ich auch in meiner Gefangenschaft erfahren: Als ich einmal ein T-Shirt gewaschen habe, haben die jungen Leute spontan angeboten, meine Wäsche zu waschen.

Welche Zukunft hat Mali vor sich?

Das Land hat so viele Möglichkeiten! Alles hängt davon ab, dass Politiker an die Macht kommen, die aufrichtig sind, das Wohl des Volkes im Sinn haben, die Landwirtschaft und gute Schulbildung fördern – und auch Verträge mit internationalen Firmen abschließen, damit für die Gewinnung von Bodenschätzen künftig kein Raubbau mehr betrieben wird, sondern der Erlös den Menschen zugute kommen kann.

Und wie steht es um die Zukunft des interreligiösen Dialogs?

Seit vielen Jahren, und meiner Ansicht nach noch immer, ist Mali ein Musterbeispiel für das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Christen. Wir besuchen uns gegenseitig und feiern auch Feste miteinander. Seit 2001 gibt es eine Allianz der muslimischen und christlichen Führer. Vor wenigen Jahren hat diese eine gemeinsame Broschüre zum Frieden veröffentlicht. Sie wurde der Regierung und den Regionalverwaltungen überreicht. Sie soll in die verschiedenen Landessprachen übersetzt werden.

Der interreligiöse Dialog ist ihr Arbeitsfeld. Welchen Rückschlag hat ihnen Ihre Entführung bereitet?

Keinen. Gerade meine Entführung hat Muslime und Christen noch einmal zusammengebracht. Während ich in der Wüste war, wurden immer wieder Gebete von Muslimen in den Zeitungen veröffentlicht, die die Dschihadisten baten, mich freizulassen. Vielleicht ist das eingetreten, was ich mir in der Zeit der Gefangenschaft so erhofft, aber nicht zu träumen gewagt hatte: dass meine Entführung den christlich-islamischen Dialog mehr vorangebracht hat, als es meine physische Gegenwart vorher geschafft hatte. 

 

Maroniten-Pater: „Wir wollen keine Parallelgesellschaft sein“

Pater Gaby, wie oft hören Sie das in Ihrem Alltag: Maroniten? Nie gehört.

Tatsächlich sehr oft. Auch erklärt ist es für viele nicht leicht zu verstehen. Ich sage dann verkürzt: Maroniten sind Katholiken mit eigenem Kirchenrecht und eigener Liturgie. Oder noch einfacher: Maroniten sind Arabisch sprechende Katholiken.

Wie kam es zu einer Maronitenmission in Deutschland?

2008 nahmen erste Ideen für pastorale Angebote für Maroniten in Deutschland Gestalt an, denn schon mit der ersten großen Ausreisewelle aus dem Libanon während des Bürgerkriegs ab 1975 waren mehr und mehr Libanesen angekommen. Maronitische Priester studierten in Deutschland und Österreich und hatten bereits Gottesdienstgemeinschaften gegründet. Der Bedarf war da. Da kam der Patriarch auf uns Ordensleute zu. Ich war zu dem Zeitpunkt in Wien. Ich war sofort bereit! Ich wollte schon immer nach Deutschland und Immanuel Kant auf Deutsch lesen. Einen Tag vor Heiligabend 2010 landete ich in Frankfurt, in der katholischen Kirchengemeinde St. Wendel.

Auf Ihrer Website steht, dass Sie das maronitische Erbe in Deutschland pflegen wollen. Aber es gibt hier doch keine maronitische Vergangenheit …

Ich definiere das eher vom Heute aus. Wenn wir weiterhin mindestens einmal im Monat an bis zu sechs Orten in Deutschland die Messe nach unserem Ritus feiern, wächst eine Generation heran, die eines Tages in der Lage sein wird, diese auch auf Deutsch zu feiern. Das wäre dann etwas, das wir begründet hätten. Und das sich lohnt, bewahrt zu werden.

Christen, die in ihrer Ursprungsregion im Nahen Osten als Minderheit immer stärker in Bedrängnis geraten, schlagen hier also neue Wurzeln.

Ja, und ich bekomme so viele positive Rückmeldungen! Besonders was die aramäische Tonalität angeht, die wir mitbringen. Das schätzen die deutschen Gläubigen. Sie sagen mir: „Gaby, ihr seid nah dran!“ Die maronitische Liturgie trägt viel ursprüngliche Jesuskultur in sich.

Es gibt deutsche Katholiken, die die maronitische Messe besuchen?

Die meisten haben eine maronitische Partnerin oder einen Partner. Aber es kommen auch Menschen aus St. Wendel, die mich gut kennen und meine Arbeit schätzen.

Eine weitere Aufgabe beschreibt, dass Sie den Dialog fördern möchten.

Man muss wissen, dass unter den Arabisch sprechenden Christen, die nach Deutschland kommen, viele Orthodoxe sind. Auch sie kommen zu uns in die Messe. Darüber hinaus treffen hier unterschiedliche Nationalitäten aufeinander: Libanesen, Syrer, Iraker, Palästinenser, Jordanier und Ägypter. Es ist also nicht nur interreligiöser Dialog gefragt, denn oft schwingen politische Themen mit. Jemand, der als Christ in Syrien aufgewachsen ist, tickt anders als einer aus dem Libanon, der es gewohnt ist, frei zu reden und auch mal Kritik zu äußern. Wir setzen auf gelebten Dialog: Alle drei Monate biete ich eine Messe an, in der ich von Christen im Nahen Osten erzähle. Auch unser Patronatsfest ist ein interreligiöses Event. Auf diese Weise bekommen die Menschen eine Ahnung davon, wer Arabisch sprechende Christen sind.

Spannend, denn all diese Menschen wären in ihrer Heimat doch in ihrer eigenen Blase. Hier treffen sie aufeinander und bilden zwangsweise eine Gemeinschaft.

Ja, das ist in der Tat spannend. Ich bin froh, dass wir damals kein maronitisches Bistum gegründet haben, sondern in St. Wendel angedockt haben. Wir wollen uns integrieren und keine Parallelgesellschaft sein. Allerdings – bis zu einem gewissen Punkt sind wir das noch, denn die erste Generation definiert sich natürlich noch stark über die Muttersprache.

Wünschen Sie sich nicht manchmal eine eigene maronitische Kirche?

Nein, überhaupt nicht. Es ist „Mission mit leichtem Gepäck“, wenn Sie so wollen. Ohne das Bistum Limburg wäre für die Maroniten in Deutschland nichts möglich gewesen. Es ist mein Zuhause, ideologisch und kirchlich. Und ich habe tolle Ansprechpartner in den Erzdiözesen München, Berlin, Köln und Hamburg – dort überall sind wir tätig mit Referenten vor Ort. Da spüren wir eine große Solidarität.

Tauschen Sie sich auch mit Muslimen aus?

Regelmäßig. Wir werden zu Veranstaltungen eingeladen. Einmal kamen in Frankfurt knapp 1000 Muslime zu Ehren von Scheich Musa as-Sadr zusammen, der sich in den 1960er Jahren im Libanon um den interreligiösen Dialog verdient gemacht hatte. Da trat ich im Habit und mit meiner Stola auf und redete. Ich nehme auch am schiitischen Gedenktag Ashura teil. Gerade planen wir zusammen mit der katholische Kirche Frankfurt einen Abend zum Fastenbrechen während des Ramadan. Das könnte ein gutes Projekt werden.

Wie haben Sie das Jahr 2015 erlebt, als viele Geflüchtete aus dem Nahen Osten hier ankamen?

Ich war völlig überfordert. 2016 hatte ich tatsächlich ein Burn-out. Ich musste lernen, dass ich nicht die Welt retten kann.

Waren Sie auch in den Geflüchteten-Camps?

Ja. Aber ich bin, ehrlich gesagt, nicht so oft hingegangen wie ich wollte. Aber ich habe sehr viele Geflüchtete in unserer Gemeinde empfangen, und das tue ich auch heute noch. Leider setzen diese Familien oft falsche Hoffnungen in uns. Sie hoffen auf Papiere und darauf, dass wir offizielle Entscheidungen beeinflussen können. Arabisch sprechende Christen kommen da mit ganz anderen Erwartungen auf uns zu, denn manche Kirchen vor Ort haben politisches Gewicht. In Deutschland ist das anders. Aber wir helfen bei Behördengängen und übersetzen. Was ich tun kann, ist, den Menschen eine geistliche Heimat anzubieten.

Dennoch tauscht sich die Politik seither mehr mit den Glaubensgemeinschaften aus.

Das stimmt. Ich habe schon ein Morgengebet vor den Abgeordneten des Hessischen Landtags gehalten und war anschließend zu Gesprächen eingeladen. Auch die Situation der Christen im Nahen Osten erfährt inzwischen mehr Aufmerksamkeit.

Gerade haben Sie zehn Jahre Maronitenmission gefeiert. Wie geht’s weiter?

Uns sind die Jugendlichen sehr wichtig. Wir unternehmen Fahrten, und einmal im Jahr gibt es ein großes Event. Da kommen junge Leute aus dem Libanon oder aus Syrien zusammen, die meist schon viele Jahre hier leben. Es ist faszinierend zu sehen, wie diese Generation beide Kulturen in sich trägt. Es sind deutsche Maroniten, deutsche Christen mit arabischem Hintergrund. Sie sind für mich eine große Hoffnung. Und ich hoffe, dass die Maronitenmission eine Zukunft in Deutschland hat. Sie ist eine Bereicherung!

Abt in Jerusalem: „Hooligans der Religion verantworten diesen Krieg“

Abt Nikodemus, es gibt ein Zitat von Ihnen vom Sommer. Da sagen Sie: Jetzt ist die entscheidende Zeit für die Zukunft Israels. Haben Sie den Krieg kommen sehen?

Nein. Aber die Zuspitzung habe ich wahrgenommen.

Wo waren Sie am 7. Oktober, dem Tag, als die Hamas Israel überfiel?

Ich war in Rom und hatte nach dieser Nachricht keine ruhige Minute mehr. Die Rückreise war eine Odyssee. Ich konnte nach Jordanien fliegen und habe mir von dort auf dem Landweg einen Grenzübergang gesucht. Wir waren zwei, die nach Israel einreisen wollten. Auf der Gegenseite standen überfüllte Busse im Stau. Die Grenzbeamten fragten mich, ob ich noch bei Verstand sei. Aber ich wollte zu meinen Mitbrüdern und den Studierenden unseres Theologischen Studienjahrs Jerusalem, die bei uns untergebracht sind. Ich trage eine Verantwortung.

Wie ist die Situation in Jerusalem?

Alle paar Tage haben wir Raketenalarm, nicht allzu häufig. Dann gehen wir in unseren Luftschutzbunker. Diese Gefahr ist jedoch meine geringste Sorge. Die Abtei Dormitio ist stabil gebaut und steht auf dem Zionsberg, nur ein paar hundert Meter von der Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom entfernt. Für keine der Kriegsparteien ein Ort, den sie beschießen möchten. Aber die Atmosphäre in der Stadt ist verändert, beinahe vergiftet. Das Misstrauen wächst. Das schmerzt mich.

Schließlich haben Sie Freunde auf beiden Seiten, kennen Israel und auch Gaza gut.

Sowohl Israelis als auch Palästinenser haben ein Grundbedürfnis, das mehr als verständlich ist. Gerade bei den jüdischen Israelis gibt es eine große Sehnsucht nach Sicherheit. Bedingt durch die Geschichte ihrer Verfolgung, die ihren schrecklichen Tiefpunkt in der Shoah fand. Daraus resultiert der Wunsch, nie mehr ausgeliefert zu sein. Israel will ein sicherer Hafen sein für Juden weltweit. Die Palästinenser wiederum sehnen sich nach Freiheit und Selbstbestimmung, gemäß dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, für das auch der Papst einsteht. Aber sie sind ohne eigenen Staat und führen ein Leben hinter Mauern und Checkpoints. In diesem Spannungsfeld lebe ich als Christ seit 20 Jahren.

Der Druck hat aber vermutlich zugenommen?

Ehrlich gesagt, werde ich gerade von allen Seiten verbal angegriffen. Manche können meine Empathie für beide Seiten nicht ertragen. Das ist für Populisten schwer auszuhalten. Allerdings halten sich die Vorwürfe in Israel in Grenzen. Hassnachrichten bekomme ich eher aus Deutschland. Es sei keine Zeit für Grautöne, höre ich immer wieder. Aber für mich ist die Würde des Menschen unantastbar. Und das gilt nun einmal für alle.

Wie gehen Sie als Abt mit dem Vorwurf um, dass Religion diesen Krieg gesät habe?

Diese Behauptung ist Blödsinn. Es sind „Hooligans der Religion“, wie ich sie immer nenne, die diesen Krieg verantworten. Gläubige aller Konfessionen hingegen bringen in diesen Tagen Hoffnung. Ich bin mit Rabbinern und Imamen vernetzt, mit Verwandten im Geiste, denn wir alle folgen der abrahamitischen Religion. In dieser Nachfolge teilen wir die Ansicht, dass jeder Mensch ein Abbild Gottes ist und setzen auf Versöhnung.

Können Christen also auf irgendeine Weise vermitteln?

Nicht wirklich. Wenn wir als Christen in diesen Tagen zum Gebet für Frieden aufrufen, wird uns entgegengehalten, wir sollten lieber für den Sieg über das Böse beten, statt für den Frieden. Für manche sind „Frieden“ und „Versöhnung“ momentan regelrechte Reizworte. Wir halten unsere Kirche offen: Das wird sowohl von gläubigen als auch von nichtgläubigen Menschen sehr geschätzt. Wir Mönche sind sehr bewusst präsent! In unserer ebenfalls weiterhin geöffneten Cafeteria bekommt jeder ein warmes Getränk und ein offenes Ohr. Wir hören oft, besonders von den Einheimischen: Es tut uns gut, dass ihr Mönche da seid!

Ein eher seltenes Kompliment. Zuletzt hatten Sie ja immer wieder davon berichtet, dass sich die Lage für Christen in Israel verschärft hat.

Durch national-religiöse Extremisten. Der radikalste Flügel ist in Israel die sogenannte „Hügeljugend“, die „Hilltop Youth“, die der jüdische Schriftsteller Amoz Oz einst „hebräische Neonazis“ genannt hat.

Es gab Brandanschläge, Steine wurden geworfen, Sie selbst werden regelmäßig beschimpft und bespuckt.

Eine traurige Realität, wofür die in Teilen rechtsradikale israelische Regierung verantwortlich ist. Diese Regierung hat versagt. Sie hat Hass geschürt und gegen Minderheiten gehetzt, gegen Liberale, gegen Muslime, gegen Christen.

Daraus entstehen Szenen, wie kürzlich in der Altstadt. Ein Vorfall, der durch die sozialen Netzwerke ging.

Da habe ich den öffentlichen Platz vor der Westmauer, der „Klagemauer“ überquert. Ich wollte Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger, die ich durch Jerusalem geführt hatte, zum Auto begleiten. Plötzlich wurde ich von einer Aufsicht der „Western Wall Heritage Foundation“ aufgefordert, mein Brustkreuz abzunehmen. Ich war aber nicht im Gebetsbereich – da bin ich sensibel genug. Ich habe die Aufforderung abgelehnt und bin gegangen. Wichtig ist zu wissen, dass diese Stiftung direkt dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht. So etwas hat schon eine neue Qualität.

Woher kommt dieser Hass? Christen sind in Israel mit höchstens zwei Prozent doch eine sehr kleine Minderheit.

Diese Menschen lehnen ab, was nicht in ihr Weltbild passt. Und als Christen sind wir dankbare Opfer. Was passiert denn schon, wenn wir einen Brandanschlag auf ein Kloster erleiden? Wir rufen keinen Tag des Zorns aus, wir gehen höchstens an die Presse.

Kann der Kreislauf aus Hass und Vergeltung in Israel eines Tages ein Ende finden?

Er muss. Viel zu viele Menschen in der Region haben zu viel zu verlieren. Aber leider gibt es auch genügend Profiteure: Iran, Russland, auch China. Und der Westen ist sich uneinig. Aber die politische Analyse ist nicht mein Fachgebiet.

Dabei haben Sie doch eine Zeit lang das Auswärtige Amt in Berlin zu „Religion und Außenpolitik“ beraten …

Das stimmt. Ich lese auch in diesen Tagen die Militärberichte und bin gut informiert. Aber in erster Linie bin ich Mönch und bete. Das wird in diesen Zeiten mehr gebraucht.

Was tun Sie für die Menschen vor Ort?

Es ist die Stunde der Seelsorge für die Nächsten. Wir sind da und wir bieten uns aktiv an. Ich lade immer wieder ein: Wem es guttut, der soll zu uns kommen! Wir haben Platz in der Dormitio. Wir fragen nicht, ob jemand Christ, Jude, Muslim oder Atheist ist. Wir fragen nicht nach Pass oder Aufenthaltserlaubnis. In unserem Kloster in Tabgha am See Genezareth ist gerade bis auf Weiteres eine Gruppe jüdischer Behinderter mit ihren Betreuern einquartiert, die in ihrer Heimatstadt Be’er Scheva im Süden in Gefahr waren. Jetzt können sie ein bisschen aufatmen. Vor Kurzem haben wir in Dormitio ein 24-stündiges Gebet abgehalten. Wir haben Psalmen rezitiert, was alle Konfessionen verbindet. Auch Juden haben mitgebetet. Gerade Religion kann in einer solchen Zeit starke Zeichen setzen. 

"Niger ist ein Musterbeispiel der Ausbeutung"

Herr Ziegler, Westafrika wird erschüttert von einer Reihe von gewaltsamen Machtwechseln.
Und jetzt wartet jedermann auf den nächsten Putsch, der wahrscheinlich in Kamerun stattfinden wird. Paul Biya ist seit 42 Jahren an der Macht. Ja, das ist eine erstaunliche Serie. Wie ein Buschfeuer.

Was sind die Gründe?
Ich will zuerst einige historische Bemerkungen machen. Im November 1954 begann der algerische Befreiungskrieg. Dieser Krieg war sehr verlustreich für die französische Kolonialarmee. In einer tiefen Krise kam in Paris de Gaulle wieder an die Macht. Sein Wille war, unbedingt Algerien zu behalten. Das konnte er nur, wenn er den französisch beherrschten Staaten in Afrika eine Möglichkeit der Emanzipation gab. So hat sich das neokoloniale Reich Frankreichs konkretisiert. Eine ganze Reihe von Staaten sind entstanden, die formell souverän geworden sind. Sie hatten Verteidigungsverträge mit Frankreich, französische Militärbasen auf jedem Territorium wurden eingerichtet, eine gemeinsame Währung und eine totale wirtschaftliche Abhängigkeit wurde geschaffen.

Mit welchen Folgen?
35 Prozent aller Afrikaner sind permanent schwerst unterernährt auf einem Boden, der meist sehr fruchtbar ist. Afrika hat eine unerhört kompetente und arbeitsame Bauernschaft. Sie begrüßen jetzt diese Militärputsche als eine Befreiung. Die französische, neokoloniale Politik - wirtschaftlich, militärisch, mit der Ausbeutung der Bodenschätze - ist der Grund dafür. Rohstoffe, wie Bauxit in Guinea, Erdöl in Gabun, werden geplündert. Auch im Niger, als einem der größten Uranproduzenten. In Mali sind die Bodenschätze vor allem Gold. Überall findet diese Ausbeutung statt. Überall führt sie zu fürchterlichem menschlichem Elend. Die Bürger sind jetzt enthusiastisch und voller Hoffnung, denn diese Militärregimes brechen mit Frankreich. Sie wollen die Militärbasen abschaffen, die eigenen Bodenschätze unter Kontrolle bringen und die Währungsunion beenden.

Als Sonderberichterstatter der UNO sind Sie damals verschiedene Male in Niamey gewesen.
Niger ist ein Musterbeispiel dieser neokolonialen, absurden, mörderischen Ausbeutung. Auf einer Million Quadratkilometern leben 25 Millionen Einwohner. Alle aus uralten, hochinteressanten Traditionsgesellschaften, die Haussa, die Peulh, die Tuareg, die Djerma. Gemäß dem Human Development Index ist Niger das zweitärmste Land der Welt. Alle zwei, drei Jahre gibt es eine Hungersnot. Der Hunger ist eine immer wiederkehrende schreckliche Plage.

Warum ist das so?
Weil das Riesenterritorium nur vier Prozent Agrarfläche hat. Es sind nur zwei Landstriche auf beiden Seiten des Nigerflusses, wo Intensivlandwirtschaft betrieben werden kann. Und diese sehr beschränkte Landfläche führt es mit sich, dass nie genug autonom Nahrung produziert werden kann. Jetzt haben wir aber mit Niger einen der wichtigsten Uranproduzenten der Welt. Und diese Minen werden seit der Unabhängigkeit (wie auch zuvor) von Frankreich ausgebeutet, von Areva, einer Staatsgesellschaft, die heute Orano heißt und über 65 Prozent des Stroms in Frankreich liefert. Sie diktiert die Ausbeutungskonditionen. Immer, wenn ein Präsident sich mit der Areva angelegt hat, wurde er durch einen Staatsstreich gestürzt und ein genehmer neuer Präsident wurde eingesetzt, der den Status quo abgesegnet hat.

Das müssen Sie genauer erklären.
Dieser Status quo ist folgender: Der Plan der Weltbank war, die beidseitig situierten Agrarflächen am Niger-Strom auszuweiten auf 440 000 Hektar. Dort könnte Land bewässert werden mit einem Kapillarsystem. Eine neue Technik, die von der Weltbank popularisiert worden ist. Ein technisches System, bei dem Kanäle mit Pumpen installiert werden. Eine Bewässerung, die dann zwei oder sogar drei Ernten im Jahr erlauben würde, und die somit die Hungersnöte im Niger auf alle Zeiten bannen würde. Das kostet aber nach Weltbank-Budget 280 Millionen Dollar. Aber einer der größten Uranproduzenten der Welt hat nicht den kleinsten Heller übrig, um diese Bewässerungsanlage zu finanzieren.

Wird sich etwas ändern, oder entwickeln sich Hoffnungsträger wieder zu Despoten?
Nein, das glaube ich nicht. Die Situation jetzt ist so zugespitzt, dass kein Machthaber, auch nicht der neue militärische Staatspräsident, es überleben könnte, wenn er Areva nicht unter Kontrolle bringen würde. Aber Frankreich wird Widerstand leisten. Präsident Macron sagt, die Militärbasen bleiben. Sie müssten militärisch bekämpft werden. Würde man Macron Recht geben, bliebe alles beim Alten. ,,Im Namen der Demokratie.“ Dabei heißt das: im Namen der Korruption, der Plünderung und des Elends.

Welche Faktoren spielen noch hinein?
Es kommt dazu, dass in Ländern wie Mali und Burkina Faso noch die Gefahr der Dschihadisten besteht. Ob dies allein zu meistern ist, allein durch die Putschisten, wenn die Franzosen aus dem Land gewiesen werden, das müsste sich erst noch zeigen. Es ist eine fürchterliche Situation. Aber die Hoffnung der realen Befreiung besteht.

Sie werden sich neue Verbündete suchen, wie Russland oder China!
Wichtig ist, finde ich, dass man versteht, dass diese Militärputsche einer historischen Notwendigkeit gehorchen. So konnte es nicht weitergehen mit dem Elend, mit dem Hunger, mit der Korruption. Dass die neue Generation das nicht mehr akzeptiert, kann ich verstehen. Aber das führt nun zum diplomatischen und militärischen Bruch mit den Franzosen, die bisher eine starke Rolle gespielt haben im Kampf gegen die Islamisten. Die Islamisten sind immer noch da. Es braucht neue Verbündete. Das muss die Europäische Union sein!

Rechtfertigt das gewaltsame Umstürze gegen gewählte Regierungen?
Natürlich wäre es theoretisch gut, wenn es eine lebendige Demokratie gäbe, das wäre an sich tausendmal besser als ein autoritäres Militärregime. Aber was von Frankreich als Demokratie gehandelt wird, ist reine neokoloniale Ausbeutung. Und führt zu fürchterlichem menschlichen Elend. Wegen schwerer Unterernährung haben in Mali nur 25 Prozent der Frauen genug Milch, um ihre Kinder zu stillen. 500 000 afrikanische Frauen sterben jährlich bei der Geburt. Die Lebenserwartung in Mali ist die Hälfte von der in Europa. Das ist unannehmbar. Das muss ein Ende nehmen.

Was ist zu tun?
Zum Beispiel haben die Europäische Union und die meisten europäischen Staaten, auch die Schweiz, sofort die bilaterale Hilfe eingestellt. Das ist verbrecherisch. Millionen Menschen im Niger überleben nicht ohne humanitäre Hilfe.

 

 

"Die Lage für Christen in Syrien bleibt dramatisch"

Herr Vogt, vor fünf Jahren haben Sie ein Buch veröffentlicht: „Christen im Nahen Osten – zwischen Martyrium und Exodus“. Wie aktuell ist dieser Titel?

Leider aktueller denn je. Gerade nicht mehr so stark auf den Irak bezogen, wo sich die Lage für Christen etwas stabilisiert hat – aber mit Blick auf Syrien und den Libanon.

Sprechen wir über Syrien. Wie hat sich die Situation für Christen dort entwickelt?

Die Lage für Christen in Syrien bleibt dramatisch. Vor dem Krieg 2011 gab es noch um die sechs Prozent, inzwischen zählen sie wohl nur noch zwei Prozent an der Gesamtbevölkerung. Vor allem junge, gut ausgebildete Christen sind ausgewandert. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern weil wirtschaftliche und politische Perspektiven fehlen. Zudem ist die Menschenrechtslage sehr schlecht. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hat die Verfolgung oppositioneller Gruppen weiter verfestigt. An den Fronten ist der Konflikt eingefroren. Es ist kein Krieg und es ist kein Frieden. Das alles bereitet große Sorgen. Nicht nur Christen, aber vor allem Christen, weil sie eine sehr kleine Gruppe sind.

… die in sich sehr geschlossen ist, wie ich es in Damaskus erlebt habe.

Das ist in vielen Ländern des Nahen Ostens so. Man organisiert sich über die Gemeinde oder über sogenannte christliche Clubs. Allein in Syrien sprechen wir über mehr als zehn christliche Konfessionen. Man besucht sich, aber man trifft sich gesondert. Und das nochmal gesondert von den Muslimen. Das mag Christen eine gewisse Sicherheit geben. Sie sind ja nur noch ein Tropfen im Meer der syrischen Gesellschaft, was interessanterweise nicht immer gleich auffällt. Im Zentrum von Damaskus oder Aleppo gibt es viele Kirchen. In den Vorstädten ist das anders. Zudem werden Christen von der sunnitischen Mehrheit, die nicht unbedingt auf der Seite des alawitischen Präsidenten steht, häufig als Anhänger des Regimes betrachtet, was die Beziehungen nicht verbessert.

Regimetreue wird oft auch Christen in Ägypten vorgeworfen. Was ist da dran?

Natürlich sind Minderheiten immer besonders auf Stabilität angewiesen. Gerade, wenn sie sich durch Islamisten bedroht fühlen. Und das war in Ägypten während der Herrschaft der Muslimbrüder der Fall. Irak ist ein Beispiel, wo mit dem Zusammenbruch der Diktatur Saddam Husseins ab 2003 auch das Christentum zusammengebrochen ist. Da müssen die Kirchen vor Ort Kompromisse eingehen oder sogar bis zu einem gewissen Punkt mit diesen Regimen zusammenarbeiten, um humanitäre Hilfe leisten zu können, um zu überleben. Gerade in Syrien, wo die Regierung zu jeder Bischofsernennung ihre Zustimmung geben muss. Die Möglichkeiten, sich frei zu äußern, sind begrenzt bis unmöglich. Das prägt natürlich das Bild der Kirche und macht es für Christen nicht einfacher.

Sie waren 2022 in Syrien. Wie haben Sie die Stimmung im Land erlebt?

Die wirtschaftliche Not ist in aller Munde. Manche sagen, dass es ihnen während des Krieges besser ging, weil wenigstens die Wirtschaft noch lief. Die Bischöfe sprechen inzwischen von der „Bombe der Armut“, die über die Menschen gekommen ist. Dass sie nicht mehr wissen, wie sie ihr tägliches Brot verdienen sollen. Die Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft betreffen zwar die Regierung sowie Profiteure des Regimes – aber es ist offensichtlich, dass sie den allgemeinen wirtschaftlichen Stillstand mitverantworten.

Nun scheint sich in Syrien etwas zu bewegen. Assad ist zurück auf dem Parkett der Arabischen Liga. Der Westen bleibt aber bei seiner isolierenden Haltung.

Klar ist: Der Regimewechsel, auf den viele, auch westliche Länder, lange Zeit gesetzt haben, wird nicht kommen. Zuletzt war wohl auch das Erdbeben ein willkommener Vorwand, um diplomatische Beziehungen wieder zu normalisieren. Aber was bedeutet die neue Zusammenarbeit Syriens mit den arabischen Ländern? Der Libanon und Jordanien fordern schon länger eine Rücknahme syrischer Geflüchteter. Aus den Golfstaaten könnte Geld für den Wiederaufbau fließen. Inwiefern sich die Wirtschaft erholt, ist fraglich. Firmen, die zum Beispiel mit den USA arbeiten wollen, verbieten die Sanktionen Beziehungen nach Syrien.

Ein Druckmittel, das an Wirkung verlieren könnte: Die arabischen Länder scheinen neuerdings auf China zu setzen.

China hat zuletzt die Aussöhnung zwischen Saudi-Arabien und Iran ausgehandelt. Das unterstreicht Chinas große Interessen in der Region. Aber China interessiert sich nicht im Geringsten für die Menschenrechtslage, genauso wenig wie Russland und die meisten der arabischen Länder selbst. Es geht um rein politische und wirtschaftliche Absichten.

Wie wird es beim krisengebeutelten Nachbarn Libanon weitergehen?

Das Land hat keine stabile Regierung und ist zahlungsunfähig. Die Menschen kommen kaum noch an Geld, dabei sind die Lebenshaltungskosten mindestens so hoch wie bei uns. Der Mittelstand ist verarmt. Wer keine Kontakte ins Ausland hat, hat große Not, über die Runden zu kommen. Das trifft auch kirchliche Einrichtungen. Mir haben Ordensschwestern unter Tränen erzählt, dass sie immer gute Rücklagen gebildet hatten und finanziell unabhängig waren. Nun ist alles Ersparte weg. Sie können kaum mehr die laufenden Kosten bezahlen.

Entwicklungen, die viele in Deutschland nicht mitbekommen. Der Libanon wie auch Syrien – zumindest bis zum Erdbeben – sind vergessene Krisen. Was können wir von hier aus tun?

Zunächst müssen die Libanesen selbst für ihr Staatswesen eintreten und die Korruption bekämpfen. Der Libanon ist eine offene Gesellschaft, viele junge Menschen sind politisch gebildet. Was wir tun können für den Libanon, besonders seitens der Kirchen, ist die Unterstützung von Einrichtungen, wie Schulen oder Altenheime. Sie halten das Land am Laufen. Brechen sie zusammen, wird aus der stillen Krise schnell eine laute Krise werden.

Kirchliche Einrichtungen sind ein Beispiel. Warum noch ist es gut für den Nahen Osten, wenn Christen bleiben?

Christen leben seit 2000 Jahren in der Region. Sie sollten gar nicht begründen müssen, warum sie bleiben wollen. Aber möchte man es begründen: Die Christen, und mit ihnen die Kirchen, bringen viele Werte und eine Offenheit in die Länder des Nahen Ostens, die gut tun. Im Libanon wäre das hervorragende Bildungssystem nicht denkbar ohne kirchlich geführte Schulen. Oder nehmen wir die vielen Sozialeinrichtungen.

Immerhin, die schwierige Lage der christlichen Minderheit im Nahen Osten scheint inzwischen mehr in der Öffentlichkeit angekommen.

Es ist ein bisschen die Angst verschwunden, damit das Narrativ „Christen gegen Muslime“ aufzubauen, denn darum geht es ja auch nicht. Natürlich gibt es islamistischen Terror. Von diesem fühlen sich aber nicht nur Christen bedroht. Es geht um Minderheiten – und da sind Christen längst nicht die Einzige im Nahen Osten. Es gibt Drusen, Alawiten, Jesiden und viele ethnische Minderheiten, wie Kurden und Armenier. Es wäre schade für die kulturelle und religiöse Vielfalt, würde auch nur eine dieser Gruppe verschwinden. 

"Ohne Ägypten geht es nicht"

Herr Maget, Kirchenvertreter in Ägypten äußern sich sehr positiv über die Regierung von General Sisi.

Er setzt sich aktiv dafür ein, dass es religiöse Toleranz in Ägypten gibt. Und er versucht, Attentate oder andere schlimme Dinge gegenüber christlichen Einrichtungen abzuwenden. Das tut er sehr glaubwürdig. Und das wissen die Christen in Ägypten zu schätzen. 

Um welchen Preis?

Sie sehen darüber hinweg, dass Ägypten einer der repressivsten Staaten dieser Welt ist, der nicht nur Gewalttäter zu Recht wegsperrt. Sondern jegliche oppositionelle Kraft daran hindert, sich zu entfalten oder überhaupt öffentlich in Erscheinung zu treten. Man riskiert ständig, im Gefängnis zu landen. Das betrifft kritische Journalisten aus dem In- und Ausland, dazu Gewerkschafter, politische Parteien. Wenn Sie als Schriftsteller eine öffentliche Lesung machen, müssen Sie sehr genau überlegen, welchen Text Sie vorlesen und welchen Sie für sich behalten. Sie müssen als Sängerin überlegen, welches Lied Sie singen und welches nicht.

Muss man das als deutsche Bundesregierung einfach so akzeptieren?

Die Millionenfrage! Ägypten hat an außenpolitischem Gewicht gewonnen, hat sich aus der Umklammerung Saudi-Arabiens, die wegen der finanziellen Abhängigkeit besteht, befreit. Sisi tritt wieder als relativ souveräner Akteur in Erscheinung. Ich würde dringend dazu raten, auch wenn ich die Politik der Militärs in Ägypten für furchtbar halte, den Weg der Kooperation beizubehalten.

Wozu?

Wenn Sie den Nahostkonflikt vielleicht eines Tages doch noch lösen wollen – ohne Ägypten kommen Sie keinen Millimeter weiter. Ägypten ist das einzige Land aus der arabischen Welt, das einen dauerhaften Friedensvertrag mit Israel hat. Ägypten bietet sich in vielen regionalen Konflikten als Mittler an. Und sich auf den Standpunkt zu stellen, Ägypten sei ein schlechter Partner, weil dort ja ein autoritärer Mann herrscht – dann müssen Sie es bleiben lassen. Denn ohne Ägypten geht es nicht.

Gilt das auch bei der Entwicklungshilfe?

Ägypten hat ein Wasserproblem durch den Bau des riesigen Staudamms in Äthiopien. Wenn Ägypten in dieser Situation Unterstützung sucht, um auch in Zukunft ausreichend Wasser zu erhalten, dann finde ich es richtig, wenn wir uns nicht wegdrücken und sagen, alles sollen die Ägypter selber regeln. Wir stellen fest, in Ägypten leben 30 Millionen bitterarme Menschen. Da darf ich doch nicht wegschauen. Die können ja nichts dafür, dass ihr Chef ein Diktator ist!

Ist das eine Lehre aus dem Arabischen Frühling? Damals hat man ja gedacht, dass alle Diktatoren weggefegt würden.

Zuerst war die Hoffnung zu groß und jetzt ist sie zu klein. Es sind ja tatsächlich vier Diktatoren gestürzt worden, drei durchs Volk in Tunesien, in Ägypten und im Sudan, und einer durch militärisches Eingreifen des Westens – Gaddafi. Diese Erfahrung bleibt, dass eine Bevölkerung, wenn sie es will und wenn die Zeit reif ist, einen Autokraten stürzen kann, auch in der islamisch-arabischen Welt.

Warum ist die Hoffnung jetzt zu klein?

Weil man sagt, das hat ja alles nichts gebracht, alle enden wieder in der Diktatur. Ich sage: Das kommt wieder, wenn sich die Lebenssituation der Menschen verschlechtert. Wenn die Korruption weiter blüht, das Gesundheitswesen nicht funktioniert, die Schulen schlechter werden. Dann kann der Aufstand wiederkommen. Gerade in schwierigen Zeiten gibt es einen Zwang zum Optimismus!

Stark betrifft uns das Thema Migration übers Mittelmeer. Wie bewerten Sie den aktuellen Kompromiss der EU?

Das Abkommen beschreibt noch einmal, was wir schon verabredet haben. Ein Geflüchteter soll nicht in Italien ankommen oder in Griechenland oder Spanien, und sich dann auf den Weg machen, um zwei Tage später in Deutschland unregistriert anzukommen und um Asyl zu bitten, das ist Unfug. Deswegen fühle ich mich nicht schlecht und moralisch widerwärtig, wenn ich sage, das Dublin-Abkommen und der jetzige Pakt sind zunächst eine vernünftige technische Regelung.

Trotzdem gibt es viel Kritik.

Natürlich vollzieht sich dieser Migrationspakt auf dem Rücken der ärmsten Menschen dieser Welt. Darum hat keiner, hoffe ich, ein gutes Gefühl dabei. Aber auch mit einem unguten Gefühl muss ich trotzdem eine praktische Lösung eines riesigen Problems erreichen.

Warum ermöglicht man nicht mehr legale Migrationswege?

Zum Teil wird das jetzt schon gemacht. Es gibt in Tunesien viele Agenturen, privatwirtschaftlich. Die arbeiten in der Fachkräftevermittlung. Weil Deutschland Pflegekräfte sucht, reist zum Beispiel eine Caritas-Delegation nach Tunis, wendet sich an diese Agenturen und fragt an, ob man 20 Pflegekräfte haben kann. Sie bieten Arbeitsverträge und ein Visum.

Klingt nicht so schlecht.

Das Problem ist: Damit ändern wir nichts an der Situation der Menschen in der Sahelzone. Die Idee, wenn wir nur genügend Fachkräfte nehmen, würden wir genau um diese Zahl auch die Zahl der Migranten reduzieren, ist Unsinn. Die ausgebildete Pflegekraft in Tunesien geht ja nicht aufs Flüchtlingsboot. Sie kann sich auch in Tunesien über Wasser halten und wird auch dort als Arbeitskraft gebraucht.

Viele Migranten stranden in Nordafrika und hoffen auf einen Weg nach Europa.

Jetzt könnte man fragen: Können denn die Tunesier nicht die Rolle Italiens übernehmen und die Migranten schon registrieren, bevor das Flüchtlingsschiff losfährt? Darüber sprechen Frau Faeser, Frau von der Leyen und Herr Macron jeden Tag mit der einzigen Person, die in Tunesien noch was zu sagen hat: der Staatspräsident. Der sagt öffentlich: „Wir sind nicht eure Grenzpolizei. Wir lehnen solche Lager auf unserem Boden strikt ab.“ In dieser Gemengelage hat die EU jetzt ein Abkommen verabredet, das illegale Migration aus Tunesien begrenzen und dem Land finanziell unter die Arme greifen soll. Wenn man sich vorstellt, wie solche Aufnahmelager auch in einem Land wie Tunesien aussehen werden …

Das Leben dort ist schrecklich.

Genau. Aber solche Lager gibt es längst. Nicht in Tunesien, sondern in Libyen. Nur bekommen wir wenig davon mit. Solange wir davon nichts erfahren, ist uns das ziemlich egal. Oder mischen wir uns wirklich ein und sagen: „Wir kennen doch diese zehn Lager in Libyen. Wir helfen dem UNHCR, diese Lager so auszustatten, dass es dort menschenwürdig zugeht?“ Genau darin sähe ich unsere humanitäre Verpflichtung.

Welche Rolle können kirchliche Partner in dieser Region spielen?

Wenn wir in Ägypten bleiben, fallen mir sofort zwei Institutionen ein, die extrem segensreich sind. Die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo und zwei Mädchenschulen der Borromäerinnen, einem katholischen Orden. Ein Besuch bei den Borromäerinnen ist eines der schönsten Erlebnisse, das man haben kann in diesem schwierigen Land. Da gehen viele koptische Mädchen hin, aber auch muslimische Mädchen, die miteinander das Abitur erreichen, Freundschaften schließen und politisch extrem aufgeweckt sind. Wenn du mit diesen jungen Frauen ein Gespräch führen kannst, geht dir das Herz auf. 

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