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13. Oktober 2020
Interview:   Kristina Balbach
Interview mit Westafrika-Experte Basedau

"Religion hat leider oft ein Popularitätsproblem"

Der Terror hat den Sahel immer fester im Griff. Seit Jahren destabilisieren Islamisten die westafrikanische Region, die sich einst mit Musterdemokratien wie Mali schmückte. Wie internationale  Militäreinsätze zu bewerten sind, warum es der interreligiöse Dialog auf die Agenda der Bundesregierung geschafft hat, und welchen Anteil Bildung und Wirtschaft am Frieden haben, erklärt der Westafrika-Experte Matthias Basedau.
13. Oktober 2020
Text: Kristina Balbach

Westafrika-Experte Professor Matthias Basedau ist Direktor es GIGA Instituts für Afrika-StudienHerr Professor Basedau, in den Ländern des Sahel nimmt der islamistische Terror in diesen Tagen dramatisch an Fahrt auf – obwohl dort seit Jahren französische Truppen und Blauhelme der Vereinten Nationen stationiert sind. Allein in Mali sind mehr als 1000 Bundeswehrsoldaten im Einsatz. Was sagt uns das?
Das sagt uns, dass die militärische Intervention nicht erfolgreich ist. Allerdings wissen wir nicht, in welchem Zustand die Länder heute ohne jede militärische Unterstützung wären. Es geht um Sicherheit. Klar ist aber: Die Krise kann nicht allein auf dieseWeise gelöst werden.

Ihre Antwort trifft auch auf Afghanistan zu, wo US-Truppen seit beinahe zwei Jahrzehnten präsent sind. Bietet die Friedensforschung keine Alternativen?
Dialog ist wichtig. Aber wer sitzt am Tisch? Inwieweit kann man mit Dschihadisten verhandeln? Moderate Kräfte sind nötig, die gehört werden und die die Fähigkeit haben, zu verbinden. In Mali zum Beispiel nimmt gerade der etwas undurchsichtige konservative muslimische Prediger Mahmoud Dicko eine solche Funktion ein. Seit den Protesten gegen Präsident Keïta im Frühjahr tritt er in Erscheinung, mobilisiert die Menschen und spricht vom Frieden. Aber seine Rolle ist für mich nicht eindeutig.

Warum finden Extremisten im Sahel einen so guten Nährboden vor?
Die fünf zentralen Sahelstaaten, also Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad, gelten als schwache Staaten mit korrupten Eliten. Die Regierungen haben kaum Kontrolle über ihr Staatsgebiet. Sie sind nicht in der Lage, die Menschen zu versorgen. In dieses Vakuum treten Islamisten, die militärisch relativ gut ausgerüstet sind im Vergleich zu den Staatstruppen, die aus Angst vor Putschen meist bewusst klein gehalten werden. Vielfach haben sie eine radikale Ideologie importiert, aus Nordafrika oder den Golfstaaten. Noch ist es eine Minderheit, bei der sie Gehör finden – aber eine doch bedeutende Minderheit.

Religion also als Quelle von Konflikten und Gewalt.
Ja. Aber auch das Gegenteil. Ein gemeinsamer Glaube kann die Menschen über Konfessionen hinweg miteinander verbinden. Dafür war die Sahelregion mit ihren verschiedenen Ethnien immer beispielhaft. Religion hatte oft friedensstiftenden Charakter. Die muslimische Mehrheit der Bevölkerung lebt bis heute einen moderaten Islam, gemischt-religiöse Familien sind verbreitet. Religion hat leider oft ein, wie ich es nenne, Popularitätsproblem. Wirkt sie positiv, fällt das nicht weiter auf. Radikalisiert sie sich, steht sie im Fokus. Fakt ist, dass anerkannte religiöse Eliten in diesen Ländern oft die Macht haben, für Frieden zu werben. Mehr als Politiker.

Das scheinen auch staatliche Akteure wahrzunehmen, die zunehmend die Nähe zum weltkirchlichen Netzwerk suchen. Das Auswärtige Amt unterhält inzwischen Projekte zum interreligiösen Dialog.
Es ist allgemein bekannt, dass die Kirchen in vielen Ländern gut aufgestellt sind und überall dort mit Erfolg ausgleichen, was schwache Staaten nicht zu leisten vermögen. Zum Beispiel im Bildungswesen. Religion als Schlüssel ist ein großes Thema. Am GIGA-Forschungsinstitut arbeiten wir gerade gemeinsam mit dem Bundesentwicklungsministerium an einer Studie zu religiösen Akteuren und deren Möglichkeiten.

Doppelt tragisch insofern, weil die christliche Minderheit im Sahel zunehmend in Gefahr ist. Viele Betroffene haben ihre Heimatorte schon verlassen. Kirchlichen Krankenstationen droht das Aus, angesehene Bildungseinrichtungen schließen.
Langfristig ist das eine Katastrophe. Es ist keine Floskel: Bildung ist die Antwort. Es ist sogar die direkte Antwort auf radikale Islamisten, wie zum Beispiel "Boko Haram", was übersetzt soviel wie "unreines Buch" bedeutet. Diese Terroristen benennen in ihrem eigenen Namen den größten Feind ihrer Absichten: Bildung und alles, was Menschen befähigt.

Und schon steht der Sahel auf der Agenda der europäischen Regierungen. Das haben die Hungersnöte der vergangenen Jahrzehnte nie geschafft.
Afrika war lange nicht von großem Interesse für die deutsche Außenpolitik. Jetzt aber gilt es, den radikalen Islamismus zu stoppen und zu verhindern, dass weitere afrikanische Staaten zerfallen. Dahinter steht auch die Absicht, die Migrationsströme aus Westafrika zu steuern. Es ist aber oft sehr schwer einzuschätzen, inwieweit man mit den Regierungen vor Ort zusammenarbeiten kann. Sicherheit und Entwicklung sind die Schlüsselwörter für eine gute Zukunft der Region. Beides muss sinnvoll miteinander verknüpft werden.

Angela Merkel machte sich 2019 auf nach Burkina Faso, Mali und Niger und hat Hilfe in Millionenhöhe zugesagt.Wie glaubwürdig sind die guten Absichten? Deutschland gehört zu den größten  Rüstungsexporteuren weltweit und hat auch Saudi-Arabien immer wieder mit Waffen beliefert.
Die Diskussionen darüber werden inzwischen offen geführt. Es stimmt: Betrachtet man die Summen für Entwicklungszusammenarbeit imVerhältnis zum Volumen der Waffengeschäfte, sieht das in der Tat nicht sehr günstig aus.

Industrienationen und afrikanische Staaten sprechen zunehmend über Kooperationen wirtschaftlicher Art. Kann diese Zusammenarbeit Frieden für die Region bringen?
Wenn es gelingt, dass beide Seiten profitieren, dann ist es ein Schritt in die richtige Richtung. In der rohstoffreichen Sahelregion muss der Weg vom reinen Export wegführen hin zu einer Verarbeitung der Rohstoffe im Land selbst. Es geht darum, eine Wertschöpfungskette vor Ort möglich zumachen und faire Arbeitsplätze zu schaffen. Der Erfolg baut auf Selbstwert und Respekt auf – das gilt im Übrigen für Wirtschaftsbeziehungen genauso wie für die klassische Entwicklungszusammenarbeit. Der Begriff aus der entwicklungspolitischen Diskussion hierzu lautet "ownership", zu deutsch die Eigentümerschaft. Entwicklung muss von innen kommen, wie auch die Konfliktlösung. Der Westen als Heilsbringer, so funktioniert das nicht.

Welche Zukunft steht den Menschen in der Region also bevor?
Afro-Pessimismus ist nicht meine Art. Betrachten wir den gesamten Kontinent, gab es in den vergangenen Jahrzehnten sehr positive Entwicklungen: Die Lebenserwartung der Menschen ist um ein Vielfaches gestiegen, die Kindersterblichkeit hat abgenommen, vielerorts hat sich das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelt. Die Faktoren dafür müssen gefunden und gezielt gefördert werden. Was den Sahel betrifft, habe ich auch als Wissenschaftler die Hoffnung, dass sich die islamistische Gewalt erschöpfen wird, denn es steht ihr viel entgegen. Alles hängt davon ab,wie gut sich die Länder entwickeln können.

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